Bürgerbewaffnung und Landesdefension im 16. Jahrhundert
Autor: Christoph Gampert
Bürgerbewaffnung und Landesdefension im 16. Jahrhundert
Einführung
Dass die Bürger im Notfall die Verteidigung ihrer Stadt selbst übernahmen, war im Mittelalter und in der frühen Neuzeit gang und gäbe. Das Recht auf Selbstverteidigung war sogar eine der größten Freiheiten mittelalterlicher autonomer Städte.[1] Der städtische Rat hatte dabei die Wehrhoheit inne, wozu auch das Recht gehörte, die Bürger zum Schutz der Stadt sowie für Romzüge des Kaisers und Feldzüge des Landesherrn (im Fall von landesherrlichen Städten) aufzubieten. Die Bürger hatten ihrerseits Wehrpflichten, zu denen auch der Wach- und Kriegsdienst zählten.[2] Die persönliche Dienstpflicht bildete die Grundlage des bürgerlichen Wehrwesens im Mittelalter – bei der Verteidigung und beim Feldzug. Zur Erhöhung der Wehrkraft wurde die Wehrpflicht auch auf Einwohner ohne Bürgerrecht, sogenannte Inwohner, ausgedehnt.[3] Wie das Wach- und Verteidigungswesen konkret organisiert war, unterschied sich von Stadt zu Stadt, je nach Verfassung des Gemeinwesens. In der Regel wurden die Bürger für die Wach- und Verteidigungsdienste nach Zünften oder Stadtvierteln eingeteilt.[4] Teilweise wurden die bürgerlichen Aufgebote bei Bedarf noch von geworbenen Söldnern und/oder dauerhaften besoldeten Wächtern oder sogenannten Einspännigen[5] ergänzt.[6] Laut Beate Sauerbrey sei das bürgerliche Wehrwesen zu Beginn des 15. Jahrhunderts noch intakt gewesen, auch wenn zu dieser Zeit bereits der Niedergang begonnen habe. Die persönliche Dienstleistung wird nicht mehr als Recht zur Mitwirkung am Stadtregiment verstanden, sondern als lästige Pflicht gegenüber der Obrigkeit. Im 16. Jahrhundert habe sich der bürgerliche Wehrdienst auf den Wachdienst und die Stadtverteidigung im Fall eines Angriffs beschränkt. Bei Kriegszügen habe die Bürgerwehr keine Rolle mehr gespielt, das Soldwesen sei zur Stütze des städtischen Verteidigungsapparates geworden.[7]
Neben der reinen Verteidigung der eigenen Stadt waren die Bürger auch an der Landesdefension beteiligt. Diese entwickelte sich aus der Landfolge, einer juristischen Verpflichtung der Haus- und Hofbesitzer auf dem Land und in den landesherrlichen Städten, im Kriegsfall selbst das Aufgebot der bewaffneten Männer zu stellen. Diese milizähnlichen Einheiten wurden auch als Ausschuss bezeichnet, weil ab dem 15. Jahrhundert nicht mehr alle Männer, sondern nur noch ein Teil erfasst wurde, in der Regel der 30., 20., 10. oder 5. Mann. Organisatorisch fester gefügt wurde dies ab dem Ende des 16. Jahrhunderts als Defensionswerk bezeichnet. Hierzu gehörten auch Musterungen und Waffenschauen sowie Exerzier- und Waffenübungen.[8] Winfried Schulze[9] versteht darunter eine umfassende Organisation der bewaffneten Untertanen in einem Territorium, die auch militärische Ausbildung und Übung eines qualifizierten Teils der Untertanen umfasste.[10]
Wie dies im 16. Jahrhundert in Wasserburg am Inn organisiert war, soll im Folgenden dargestellt und anhand einiger ausgewählter Beispiele aus dem Stadtarchiv illustriert werden.
Ausrüstung und Bewaffnung der Bürger
In der Stadt Wasserburg am Inn wurden die Bürger nach den vier Stadtvierteln (Schmidzeil-Viertel, Salzsender-Viertel, Ledererzeil-Viertel und Scheibenviertel) eingeteilt.[11] Jedes einzelne Viertel untergliederte sich wiederum in einzelne Rotten, i.d.R. gab es neun Rotten pro Viertel. [12] Jede Rotte wurde von einem Rottmeister geführt, das Viertel vom jeweiligen Viertelmeister. In einem Verzeichnis des Schmidzeil-Viertels aus dem Jahr 1583 werden insgesamt 98 Personen aufgeführt, die in neun Rotten eingeteilt waren. Die einzelne Rotte bestand i.d.R. aus 11-12 Männern.
In dem genannten Verzeichnis werden neben den Namen der einzelnen Bürger auch deren Waffen und Rüstungen verzeichnet. Dabei wird auch bei einigen vermerkt, dass sie keine eigenen Waffen besitzen. Offensichtlich mussten diese aber trotzdem ihren militärischen Bürgerpflichten nachkommen, vermutlich erhielten sie im Verteidigungsfall Waffen aus dem städtischen Zeughaus oder wurden für andere Dienste eingesetzt, bei denen keine Waffen benötigt wurden, z.B. Schanzarbeiten. Die Bewaffnung der einzelnen Bürger war dabei recht unterschiedlich. Während der Rottmeister Wolfgang Wider über eine ganze Rüstung verfügte, besaßen andere, wie der Hutmacher Hans Seidler, nur eine Hellebarde oder, wie der Schuster Matthäus Ardtinger, einen Federspieß.[13] Insgesamt finden sich Hellebarden und verschiedene Formen von Spießen als häufigste Waffen.
Bei den Rüstungen werden hauptsächlich Armschienen und Sturmhauben[14] genannt. Interessant ist, dass manche Bürger nur über Rüstungsteile, aber nicht über Waffen verfügten.[15] Ob eine ganze Rüstung auch eine entsprechende Bewaffnung miteinschloss bleibt unklar. Es ist jedoch denkbar, dass Listen, wie die genannte, ausschließlich die Waffen und Rüstungen verzeichneten, die sich im Privatbesitz befanden. Da es ohnehin ein städtisches Zeughaus gab, aus dem im Verteidigungsfall Waffen an die Bürger verteilt wurden, war es nicht nötig, eine komplette Ausrüstung in eigenem Besitz zu haben. Dies würde auch erklären, warum bei einer ganzen Reihe von Bürgern nur Rüstungen, aber keine Waffen verzeichnet sind. Die Waffen erhielten sie ohnehin aus dem Zeughaus, also investierten sie ihr Geld lieber in eine Rüstung bzw. einzelne Schutzwaffen, um sich im Kampf besser schützen zu können. Die Existenz von Verzeichnissen, die ausschließlich Rüstungen auflisten, wie das Inventari der leichten ristungen im schmit zeiller vüertl aus dem Jahr 1583 spricht ebenfalls für diese Theorie. Laut diesem Inventar besaß Wolfgang Wider eine vollständige Plattenrüstung, bestehend aus Vorder- und Hinterteil, Kragen, zwei Armschienen, einem Paar Handschuhe, einer Sturmhaube und zwei Beintatschn[16].
Doch er war nicht der einzige, der über eine so umfangreiche Rüstung verfügte. Weitere fünf Bürger besaßen die gleichen Schutzwaffen wie er, bei den meisten anderen fehlten nur ein oder zwei Teile. Ein Vorder- und Hinterteil besaßen fast alle. Da das Verzeichnis nur 21 Bürger namentlich erwähnt,[17] während das ganze Schmidzeil-Viertel gemäß dem zuvor genannten Verzeichnis aus dem gleichen Jahr 98 Personen umfasste, liegt die Vermutung nahe, dass in dem Inventar nur diejenigen verzeichnet wurden, die eine weitgehend vollständige Rüstung besaßen. Die übrigen 77 Bürger dieses Viertels dürften demnach keine Rüstungen, sondern nur einzelne Waffen in ihrem Besitz gehabt haben oder besaßen gar keine eigenen Waffen.
Auswahl und Musterung der Bürger
Es stellt sich nun die Frage, wie die Bürger für den städtischen Militärdienst ausgewählt wurden. Es ist kaum vorstellbar, dass in Verzeichnissen, wie dem erstgenannten, einfach alle männlichen Bewohner des jeweiligen Stadtviertels eingetragen wurden. Tatsächlich fanden regelmäßige Musterungen statt. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel stammt aus dem Jahr 1595, als am 24. Februar 1595 ein Befehl des bayerischen Herzogs Wilhelm V. erging, aufgrund der drohenden Türkengefahr eine Generalmusterung aller Untertanen im ganzen Land durchzuführen. In diesem Zusammenhang sollte die Stadt Wasserburg alle Bürger und Inwohner mustern, ein ordentliches Musterregister anlegen, wobei die Bürger folgende Angaben machen sollten, die dann auch ins Musterregister einzutragen waren: Name, Anzahl und Name der Söhne, Beruf, Anzahl eigener Häuser und Hofstätten, Teilnahme an Kriegszügen, Beherrschung von Büchsen sowie Was sein beste hauptwehr und ob diese wehr seyn oder nicht, also welche Waffe derjenige am besten handhaben konnte und ob sie sich in seinem Privatbesitz befand oder nicht. Bei Ankunft der herzoglichen Kommissare sollte diesen eine Abschrift des Registers übergeben werden und sie sollten im Anschluss die Bürger und Inwohner mustern.[18] Am 6. Oktober 1595 kündigten die Kommissare der Stadt Wasserburg ihr Kommen an. Die Bürger sollten angewiesen werden, bei Ankunft der Kommissare in ihrer besten Rüstung und Wehr zu erscheinen.[19] Die Bürger sollten also nicht nur hinsichtlich ihres Gesundheitszustands gemustert werden, sondern es sollten auch ihre Waffen und Rüstungen auf deren Tauglichkeit überprüft werden. Es liegt nahe, dass die folgende Außwehlung inn der statt Wasserburg, so denn 9. octob. anno 95 beschehen das Ergebnis jener Musterung war. In diesem Fall wurde auch eine Einteilung nach dem 30., 15., 10. sowie 5. und 3. Mann vorgenommen. Insgesamt wurden 159 Bürger ausgewählt, 16 beim 30. Mann, 32 beim 15. Mann, 47 beim 10. Mann sowie 64 beim 5. und 3. Mann. Interessant ist noch die Anweisung des Herzogs in seinem Musterungsbefehl, die Stadt solle ohne Wissen der Kommissare keine neuen Waffen anschaffen.[20] Offensichtlich sollten diese zunächst den tatsächlichen Bedarf im Rahmen der Musterung ermitteln. Dass es dem Herzog dabei nur darum ging, die Stadt vor unnötigen Ausgaben zu schützen, ist kaum anzunehmen. Vielmehr liegt der Schluss nahe, dass der Herzog wollte, dass die Stadt nur bestimmte Waffen, möglicherweise moderne statt veralteter Modelle, anschaffte und er ihr diesbezüglich nicht traute. An jenem 9. Oktober 1595 brachten die Kommissare dann selbst Waffen und Rüstungen mit, die sie den Bürgern übergaben.[21] Dies stützt die zuvor genannte Vermutung, zumindest finden sich keine Rechnungen der Kommissare an die Stadt Wasserburg für die gelieferten Waffen. Fünf Jahre nach dieser Musterung wollte Herzog Maximilian I. kontrollieren, ob die von ihm erhoffte Vermehrung der Mannschaft auch wirklich stattgefunden hatte. Zu diesem Zweck befahl er der Stadt Wasserburg, 159 Mann mit unterschiedlicher Ausrüstung (u.a. 30 Mann mit Musketen, 50 Mann mit Halbhaken) abzukommandieren.[22]
Ein Beispiel: Die Musterung von 1599
Am 21. Mai 1599 fand auf Befehl Herzog Maximilians I. erneut eine Musterung statt, welche vom Pfleger Ulrich von Preising[23] sowie den Räten Thoman Altershamer, Abraham Khern und Niclaß Dellinger durchgeführt wurde. Dabei wurden die Bürger nach Bewaffnung bzw. Waffengattung verzeichnet. Insgesamt wurden 523 Bürger erfasst, 110 mit ganzer Rüstung, 63 mit halber Rüstung, 20 Musketiere, 114 Hakenschützen[24] oder gemeine Schützen und 216 Personen mit Hellebarden, Seitenwehren[25] oder langen Spießen.[26]
Ergänzend hierzu gibt es auch einen summarischen Auszug der bei der Musterung bei den Bürgern vorgefundenen Waffen. Die Zahlen sind in beiden Dokumenten identisch. Interessant ist jedoch, dass in dem summarischen Auszug noch vermerkt wurde, es sei zu bedenken, dass unter diesen Personen auch viele schwache, alte, erlebte, kranke Personen und Witwen mit eigenen Häusern inbegriffen sind.[27] Es stellt sich die Frage, ob es bei dieser Musterung darum ging, welche Waffen und Rüstungen die Bürger in ihrem Besitz hatten, oder darum, wie die Bürger im Ernstfall einzusetzen waren. Das erste Verzeichnis scheint eine Auflistung der waffenfähigen Bürger bzw. deren Einteilung nach einzelnen Waffengattungen zu sein, das zweite Verzeichnis ein Inventar der bei den Bürgern vorhandenen Waffen. Wieder fällt auf, dass bei den ganzen und halben Rüstungen keine Angaben zur Bewaffnung gemacht werden. Schwerter oder andere Hieb- und Stichwaffen sind genauso denkbar wie Stangenwaffen (z.B. Hellebarden) oder Schusswaffen. Auch eine Kombination aus Schusswaffe und Seitenwehr, z.B. Schwert oder Degen, wäre denkbar. Bemerkenswert ist neben der Gesamtzahl der waffenfähigen Bürger auch die Verteilung auf die einzelnen Waffengattungen. Die geringe Anzahl der Musketiere dürfte sich damit erklären lassen, dass diese Waffe ihren Durchbruch erst noch vor sich hatte, während die Arkebusen im 16. Jahrhundert weitverbreitet waren. Die hohe Anzahl an Stangen- und Blankwaffen ist durch deren günstigeren Preis und auf die leichtere Handhabung im Vergleich zu den Schusswaffen zurückzuführen. Sie zeigt aber auch, dass die Truppe weniger für offene Feldschlachten im Dienst des Landesherrn gedacht war, sondern für die Verteidigung der Stadt und insbesondere die Besetzung der Stadtmauer. Sollten unter den Hakenschützen nicht nur Arkebusen, sondern auch Haken- oder Wallbüchsen, welche mittels eines eisernen Hakens auf eine Mauer oder einen Wall aufgelegt wurden,[28] gemeint sein, wäre dies ein weiteres Indiz für die defensive, auf die Verteidigung der Stadt ausgelegte Ausrichtung der Bürgermiliz.
Über das Verhältnis der waffenfähigen Bürger zur Bevölkerungszahl
Um die Kampfkraft der Stadt Wasserburg am Inn beurteilen zu können, ist es nötig die Zahl der waffenfähigen bzw. als zum Kriegsdienst tauglich gemusterten Bürger mit der gesamten Bevölkerungszahl zu vergleichen. Die neuesten Zahlen hierzu legt Christoph Nonnast in seiner Untersuchung des Armenwesens und der wohltätigen Stiftungen in Wasserburg vor. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass im 16. Jahrhundert 700 männliche Vollbürger in der Stadt lebten. Zusammen mit deren Frauen und Familien sowie den Stadtbewohnern ohne Bürgerrecht errechnete sich nach Nonnast eine Gesamteinwohnerzahl von mindestens 2500, vermutlich sogar über 3000 Menschen. Damit schließt er sich den aus dem 19. Jahrhundert stammenden Schätzungen von Joseph Heiserer an.[29] Vorausgesetzt, nur die männlichen Vollbürger wären zum Dienst an der Waffe verpflichtet gewesen, erscheint die Zahl von 523 Bürgern aus der Musterung vom 21. Mai 1599 sehr beachtlich. Fast drei Viertel der männlichen Bürger hätten demnach im Ernstfall die Stadt verteidigen können, wobei bei einer Belagerung sicher auch noch die Einwohner ohne Bürgerrecht zu Verteidigungsaufgaben herangezogen worden wären. Relativiert wird dies allerdings durch die bereits erwähnte Anmerkung in dem summarischen Auszug der Waffen und Rüstungen vom 21. Mai 1599, wonach unter den verzeichneten Bürgern auch alte, schwache und kranke sowie Witwen seien. Es scheinen also nicht alle 523 Bürger kampffähig gewesen zu sein. Bei der Musterung vom 9. Oktober 1595 waren 159 Bürger ausgewählt, dies entspricht nicht einmal einem Viertel der männlichen Vollbürger. Allerdings erfolgte diese Musterung nach dem 30., 15., zehnten sowie fünften und dritten Mann, so dass nicht alle waffenfähigen Männer erfasst wurden. Im Jahr 1583 wurden im Schmidzeil-Viertel 98 Bürger in den einzelnen Rotten verzeichnet, von denen allerdings nicht alle eine Waffe besaßen (s.o.). Rechnet man diese Zahl auf die gesamte Stadt hoch, ergibt sich eine Zahl von 392 gemusterten Bürgern. Diese Zahl liegt zwischen den beiden zuvor genannten Angaben und entspricht einem Anteil von 56% der männlichen Vollbürger, d.h. etwas mehr als die Hälfte der männlichen Vollbürger war kampftauglich. Es muss dabei festgehalten werden, dass wir weder die exakte Bevölkerungszahl für jedes einzelne Jahr kennen noch mit absoluter Sicherheit sagen können, wie, mit welcher Intention und nach welchen Kriterien die genannten Listen und Verzeichnisse angelegt wurden. Ob die für die Stadtverteidigung geeigneten Bürger verzeichnet wurden oder diejenigen, die Waffen und Rüstungen in ihrem Privatbesitz hatten, kann nicht zweifelsfrei geklärt werden. Zu Vieles bleibt leider im Dunkeln, die Zahlen schwanken selbst bei geringem zeitlichem Abstand durchaus enorm. So ist es beispielsweise möglich, dass die Musterung vom 9. Oktober 1595 die für die Landesdefension heranzuziehenden Männer erfassen sollte, wofür auch die Auswahl nach dem 30., 15. usw. Mann sprechen würde, wohingegen die Musterung vom 21. Mai 1599, bei der 523 Personen verzeichnet wurden, auf die Erfassung der für die Verteidigung der Stadt zu gebrauchenden Bürger abzielte.
Ausmusterungen untauglicher Personen
Auch Ausmusterungen untauglicher Personen kamen vor. Ein Verzeichnis der Bürger und Inwohner nach ihrer Tauglichkeit vom 3. März 1601 listet nach Viertel getrennt alle Personen auf und vermerkt dahinter in einer anderen Schriftfarbe, wofür sie vorgesehen sind, z.B. gibt ein haggen schüzen. Dabei kommen auch Bemerkungen wie ist aber alt unnd schwach, ist zu alt über 50 jahr oder ist untaugenlich vor.[30] Aus dem Jahr 1609 ist ein Verzeichnis überliefert, in dem die wegen Untauglichkeit aus der Musterung entlassenen Bürger mit Begründung ihrer Ausmusterung aufgeführt werden. Vorgenommen wurde diese Ausmusterung von einem landesfürstlichen Obristen.[31] Die Stadt bzw. der Landesherr beurteilten also sehr wohl kritisch, welche Bürger und Einwohner im Notfall auch wirklich kämpfen konnten. Es ist durchaus möglich, dass in den zu anfangs erwähnten Musterungslisten auch die eine oder andere untaugliche Person verzeichnet wurde, was erklären könnte, warum bei manchen Namen keine Waffen oder Rüstungen vermerkt wurden.
Interessant sind dabei auch die Durchführungen der einzelnen Musterungen. Die Musterung im Jahr 1595 wurde im Beisein herzoglicher Kommissare abgehalten. 1599 scheinen hingegen nur städtische Amtsträger und der Pfleger, welcher immerhin als Vertreter des Landesherrn fungierte, anwesend gewesen zu sein. Warum der Herzog im Jahr 1600 das Ergebnis der Musterung von 1595 kontrollierte, obwohl inzwischen bereits eine weitere Musterung stattgefunden hatte, kann hier leider nicht geklärt werden. Dass aus der Zeit um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert und insbesondere aus der Regierungszeit Herzog Maximilians I. besonders viele Unterlagen über Musterungen u.ä. vorliegen, zeigt, wie wichtig dem Herzog eine funktionierende Landesdefension war.
Fazit
Angesichts der Größe und Bedeutung der Stadt Wasserburg am Inn im Herzogtum überrascht die hohe Anzahl an wehrfähigen Bürgern und vorhandenen Waffen, gerade auch im Privatbesitz. Nicht wenige Bürger besaßen Rüstungsteile oder gar eine vollständig Rüstung. Angesichts der hohen Kosten für derartige Schutzwaffen lassen sich Rückschlüsse auf die Vermögensverhältnisse in der Bürgerschaft ziehen. Die Stadt und die Bürgerschaft schienen ihre militärischen Aufgaben durchaus ernst zu nehmen, wie im Beitrag „Stadtverteidigung“ gezeigt wird. Gerade die wohlhabenden Bürger hätten ihr Geld auch anderweitig ausgeben können, anstatt es in die Anschaffung von Rüstungen und Waffen zu investieren.
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Gampert, Bürgerbewaffnung und Landesdefension im 16. Jahrhundert, publiziert am 25.06.2024 [=Tag der letzten Änderung(en) an dieser Seite]; in: Historisches Lexikon Wasserburg, URL: https://www.historisches-lexikon-wasserburg.de/B%C3%BCrgerbewaffnung_und_Landesdefension_im_16._Jahrhundert (14.10.2024)
- ↑ Sauerbrey, Stadtverteidigung, 183.
- ↑ Wübbeke-Pflüger, Sicherheitsorganisation, 173.
- ↑ Sauerbrey, Stadtverteidigung, 183.
- ↑ Wübbeke-Pflüger, Sicherheitsorganisation, 174.
- ↑ Adelung, Art. Einspännig./ Deutsches Wörterbuch, Art. Einspännig.
- ↑ Wübbeke-Pflüger, Sicherheitsorganisation, 176-178.
- ↑ Sauerbrey, Stadtverteidigung, 189.
- ↑ Schnitter, Volk und Landesdefension, 10f.
- ↑ Schulze, Winfried.
- ↑ Schulze, Landesdefensionen, 129.
- ↑ Siehe Verzeichnisse der einzelnen Personen nach Rotten und Vierteln von 1546, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b352.
- ↑ Siehe Verzeichnis der Personen in den einzelnen Rotten mit Bewaffnung, undatiert, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b348.
- ↑ Ein Federspieß war eine Art Speer oder Lanze, siehe Reif, kurtrierische Musterung, 11. Die Gebrüder Grimm verstanden darunter einen Spieß, daran eisen mit langen federn geschlagen sind. Siehe Deutsches Wörterbuch, Art. Federspiesz. Möglicherweise ähnelte er der Schweinsfeder, einer Jagdwaffe mit eiserner Spitze und Parierstange. Krünitz, Art. Schweinsfeder.
- ↑ = Helmform. Krünitz, Art. Sturmhaube.
- ↑ Siehe Musterung des Schmidzeil-Viertels, Auflistung der einzelnen Rotten von 1583, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b348.
- ↑ = Beintasche, ein Rüstungsteil, dass die oberen Oberschenkel bzw. den Unterbauch schützte. Meyers Großes Konversations-Lexikon, Art. Rüstungen und Waffen I.
- ↑ Inventari der leichten ristungen im schmit zeiller vüertl von 1583, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b348.
- ↑ Musterungsbefehl Herzog Wilhelms vom 24.2.1595, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b349.
- ↑ Die zur General-Landesmusterung verordneten Kommissare an die Stadt Wasserburg, Brief vom 6.10.1595, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b358.
- ↑ Außwehlung inn der statt Wasserburg, so denn 9. octob. anno 95 beschehen, Verzeichnis vom 9.10.1595, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b349.
- ↑ Verzeichnis der Rüstungen und Waffen, die von den Kommissaren am 9.10.1595 den Bürgern übergeben wurden, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b349.
- ↑ Herzog Maximilian I. an die Stadt Wasserburg, Befehl vom 30.12.1600, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b360.
- ↑ Preysing, Preysing, Ulrich.
- ↑ Gewehr mit Luntenschloss, dessen Schaft einen Haken hatte, mit dem es auf einem Gestell oder einer Mauer aufgelegt werden konnte und Kugeln von vier Lot oder 60-100g Gewicht verschoss. Art. Krünitz, Art. Haken./ Meyers Großes Konversations-Lexikon, Art. Hakenbüchse. Zumeist gleichbedeutend mit Arkebuse, siehe Meyers Großes Konversations-Lexikon, Art. Arkebuse.
- ↑ Blankwaffe (Degen, Säbel), die an der Seite getragen wurde. Meyers Großes Konversations-Lexikon, Art. Seitengewehr.
- ↑ Musterung und Beschreibung der Bürgerschaft sowie deren Rüstungen und Waffen, Verzeichnis vom 21.5.1599, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b350.
- ↑ Summarischer Auszug, was an Rüstungen und Wehren in der vorgenommenen Musterung bei der Bürgerschaft gefunden wurde, Verzeichnis vom 21.5.1599, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b354.
- ↑ Meyers Großes Konversations-Lexikon, Art. Hakenbüchse.
- ↑ Nonnast, Armenwesen Wasserburg, 22f.
- ↑ Verzeichnis der Bürger und Inwohner, die im Notfall ihrer Qualität nach am tauglichsten sind vom 3.3.1601, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b363.
- ↑ Verzeichnis der aus der Musterung entlassenen Bürger vom 7.5.1609, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b361.