Gemeindegebietsreform: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Die Gemeindegebietsreform im Bereich des (Alt-)Landkreises Wasserburg a.Inn'''
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'''Die Gemeindegebietsreform im Bereich des (Alt-)Landkreises Wasserburg a. Inn'''<br>
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''Zwischen 1969 und 1978 wurde in Bayern eine umfassende kommunale Gebietsreform durchgeführt. Diese bestand aus einer Gemeindegebietsreform, einer [[Kreisgebietsreform|Landkreisreform]]<ref>[[Kreisgebietsreform|Vgl. den entsprechenden Artikel in diesem Lexikon.]]</ref> und einer Funktionalreform <ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Mattern, Gebietsreform|Mattern, Gebietsreform]].</ref>.'' Im Zuge dieser Reform wurde sowohl die Zahl der Landkreise in Bayern (von 143 auf 71), als auch der kreisfreien Städte (von 48 auf 25) deutlich reduziert. Eine noch erheblichere Wirkung hatte jedoch die Gemeindegebietsreform, da hierdurch 5.021 der 7.073 Gemeinden in Bayern ihre Eigenständigkeit verloren <ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Mattern, Gebietsreform|Mattern, Gebietsreform]].</ref>.
  
 
== Motivation und Ziele der Gemeindegebietsreform ==
 
== Motivation und Ziele der Gemeindegebietsreform ==
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Anders als in anderen Bundesländern basierte die Gebietsreform in Bayern, auch die Gemeindegebietsreform, nicht so sehr auf den Ergebnissen von wissenschaftlichen Kommissionen, sondern auf zahlreichen Gutachten und Meinungen verschiedener Gruppen aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft <ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Mattern, Gebietsreform|Mattern, Gebietsreform]].</ref>. Man wollte in Bayern  augenscheinlich Entscheidungen, welche die gewachsenen Traditionen der Gemeinden außer Acht lassen, vermeiden. Besonders augenfällig für eine fehlgeleitete Gemeindegebietsreform war in Hessen wohl die Gründung der Stadt Lahn als Zusammenschluss der Städte Gießen und Wetzlar nebst zahlreichen kleinen Gemeinden. Dieses Stadtkonstrukt hielt tatsächlich nur 31 Monate und gilt heute vielen als Musterbeispiel einer fehlgeleiteten Gebietsreform.
  
''„Zwischen 1969 und 1978 wurde in Bayern eine umfassende kommunale Gebietsreform durchgeführt. Diese bestand aus einer Gemeindegebietsreform, einer Landkreisreform <ref>Vgl. den entsprechenden Artikel in diesem Lexikon.</ref> und einer Funktionalreform <ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Mattern, Gebietsreform|Mattern, Gebietsreform]].</ref>.“ '' Im Zuge dieser Reform wurde sowohl die Zahl der Landkreise in Bayern (von 143 auf 71), als auch der kreisfreien Städte (von 48 auf 25) deutlich reduziert. Eine noch erheblichere Wirkung hatte jedoch die Gemeindegebietsreform, da hierdurch 5.021 der 7.073 Gemeinden in Bayern ihre Eigenständigkeit verloren <ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Mattern, Gebietsreform|Mattern, Gebietsreform]].</ref>.
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In Bayern war die Gemeindegebietsreform, ähnlich wie die Kreisgebietsreform, geleitet vom Bewusstsein, dass der starke Wandel der Lebensverhältnisse vor allem im ländlichen Raum und die Ausweitung der öffentlichen Aufgaben in den Gemeinden zu einer Überforderung vor allem der ehrenamtlichen Bürgermeister und der weniger geschulten Verwaltungskräfte geführt habe und hat führen müssen. Die großen Ziele der Reform waren für die Reformer letztlich eine Steigerung der Effektivität und der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung.  
 
 
Anders als in anderen Bundesländern basierte die Gebietsreform in Bayern, auch die Gemeindegebietsreform, nicht so sehr auf den Ergebnissen von wissenschaftlichen Kommissionen, sondern auf zahlreichen Gutachten und Meinungen verschiedener Gruppen aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft <ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Mattern, Gebietsreform|Mattern, Gebietsreform]].</ref>. Man wollte augenscheinlich in Bayern Entscheidungen, die die gewachsenen Traditionen der Gemeinden außer acht lassen, vermeiden. Besonders augenfällig für eine fehlgeleitete Gemeindegebietsreform war in Hessen wohl die Gründung der Stadt Lahn als Zusammenschluss der Städte Gießen und Wetzlar nebst zahlreichen kleinen Gemeinden. Diese Stadt hielt tatsächlich nur 31 Monate und gilt heute vielen als Musterbeispiel einer fehlgeleiteten Gebietsreform.
 
 
 
In Bayern war die Gemeindegebietsreform, ähnlich wie die Kreisgebietsreform, geleitet vom Bewusstsein, dass der starke Wandel der Lebensverhältnisse vor allem im ländlichen Raum und die Ausweitung der öffentlichen Aufgaben in den Gemeinden zu einer Überforderung vor allem der ehrenamtlichen Bürgermeister und weniger geschulten Verwaltungskräfte geführt habe und hat führen müssen. Die großen Ziele der Reform waren für die Reformer letztlich eine Steigerung der Effektivität und der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung.  
 
 
Man wollte zweierlei: Zum einen sollte gewährleistet werden, dass durch den Einsatz von hauptamtlichem Personal die Qualität der Verwaltungsarbeit verbessert werden kann, zum anderen sollte durch die Verlagerung staatlicher Aufgaben von den Landkreisen auf die künftig auch finanziell besser ausgestatteten Gemeinden eine größere Bürgernähe erreicht werden. Damit sollte dann letztendlich die kommunale Selbstverwaltung gestärkt werden <ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Mattern, Gebietsreform|Mattern, Gebietsreform]].</ref>.
 
Man wollte zweierlei: Zum einen sollte gewährleistet werden, dass durch den Einsatz von hauptamtlichem Personal die Qualität der Verwaltungsarbeit verbessert werden kann, zum anderen sollte durch die Verlagerung staatlicher Aufgaben von den Landkreisen auf die künftig auch finanziell besser ausgestatteten Gemeinden eine größere Bürgernähe erreicht werden. Damit sollte dann letztendlich die kommunale Selbstverwaltung gestärkt werden <ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Mattern, Gebietsreform|Mattern, Gebietsreform]].</ref>.
  
 
== Durchführung ==
 
== Durchführung ==
  
Die Gemeindegebietsreform in Bayern war bereits seit 1969, seit der Finanzreform in Bayern, virulent. Allerdings galt zu dieser Zeit bis einschließlich  1.1.1976 die sog. „Freiwilligkeitsphase“, d.h. Gemeinden, die sich von den neuen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung zu stark gefordert fühlten, sollten sich eigenständig zu größeren Einheiten zusammenschließen oder von größeren Gemeinden eingliedern lassen. Alle Gemeinden, die bis 1975 Beschlüsse nach den Eingemeindungsbeschlüssen des Bayerischen Innenministeriums zusammenschlossen, konnten mit staatlichen Zuschüssen rechnen. Allen Gemeinden, die dies nicht wie gefordert umsetzten, wurden die Zuschüsse gestrichen. Dieses Verhalten der Staatsregierung wurde von nicht wenigen Gemeinden als „Angebotsdiktatur“ empfunden.
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Die Gemeindegebietsreform in Bayern war bereits seit 1969, seit der Finanzreform in Bayern, virulent. Allerdings galt zu dieser Zeit bis einschließlich  1. Januar 1976 die sogenannte ''Freiwilligkeitsphase'', d.h. Gemeinden, die sich von den neuen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung zu stark gefordert fühlten, sollten sich eigenständig zu größeren Einheiten zusammenschließen oder von größeren Gemeinden eingliedern lassen. Alle Gemeinden, die bis 1975 Beschlüsse nach den Eingemeindungsbeschlüssen des Bayerischen Innenministeriums zusammenschlossen, konnten mit staatlichen Zuschüssen rechnen. Allen Gemeinden, die dies nicht wie gefordert umsetzten, wurden die Zuschüsse gestrichen. Dieses Verhalten der Staatsregierung wurde von nicht wenigen Gemeinden als ''Angebotsdiktatur'' empfunden.
  
 
== Umsetzung im Landkreis Wasserburg ==
 
== Umsetzung im Landkreis Wasserburg ==
  
In diesem Artikel wird das Augenmerk auf die Gemeindegebietsreform im Landkreis Wasserburg bzw. ehemaligen Landkreis Wasserburg gerichtet.  
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In diesem Artikel wird das Augenmerk auf die Gemeindegebietsreform im Landkreis Wasserburg bzw. im ehemaligen Landkreis Wasserburg gerichtet.  
 
Im Landkreis Wasserburg gab es mehrere Diskussions- und Streitfälle, von denen die folgenden drei näher beleuchtet werden sollen:
 
Im Landkreis Wasserburg gab es mehrere Diskussions- und Streitfälle, von denen die folgenden drei näher beleuchtet werden sollen:
  
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Schon relativ früh war allen Beteiligten klar, dass Wasserburg entweder als Kreisstadt eines Kreises Wasserburg oder als Mittelzentrum, wenn der Landkreis Wasserburg aufgelöst werden sollte, eine starke Einheitsgemeinde werden würde. Initiativen der Stadt Wasserburg, die bis ins Jahr 1969 zurückreichen, wonach die Gemeinden Attel, Edling, Penzing, Bachmehring, Aham und Freiham in die Stadt Wasserburg eingegliedert werden sollen, stießen bei den Entscheidungsträgern der betroffenen Gemeinden aber auf taube Ohren. Die Gemeinden Aham, Freiham, Bachmehring und Schönberg hatten ihrerseits bereits 1970 beim Bayerischen Innenministerium beantragt, sich zu einer Gemeinde zusammenschließen zu können, und zwar ohne Wasserburg. Da das Innenministerium entschieden hatte, dass Eingemeindungen bis 1976 nur auf freiwilliger Basis erfolgen könnten <ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#BayHStA, MINN 94866|BayHStA, MINN 94866]]</ref> , schied eine Eingemeindung von neu entstandenen Eiselfing mit Aham, Freiham, Schönberg und Bachmehring nach Wasserburg aus <ref>Zustimmung des Innenministeriums, keine Erwähnung der Bemühungen WS, ja im Verteiler wird Stadt WS im Schreiben des BSMI vom 3.3.1971 nur nachträglich handschriftlich eingefügt. Handschriftliche Einfügung: '' „Die Angelegenheit wurde am 24.8. mit Herrn LR Bauer besprochen. Der Landrat wird die Gemeinden ermuntern, ihre grundsätzl. Bereitschaft zu Grenzbereinigungen mit der Stadt Wasserburg zu erklären. Dagegen würde nach Meinung des Landrats der Zusammenschluß scheitern, wenn den Wünschen der Stadt Wasserburg auch nur annähernd entsprochen werden wollte.'' [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#BayHStA, MINN 93901/I|BayHStA, MINN 93901/I]].</ref>.  
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Schon relativ früh war allen Beteiligten klar, dass Wasserburg entweder als Kreisstadt eines Kreises Wasserburg oder als Mittelzentrum, falls der Landkreis Wasserburg aufgelöst werden sollte, eine starke Einheitsgemeinde werden würde. Initiativen der Stadt Wasserburg, die bis ins Jahr 1969 zurückreichen, wonach die Gemeinden Attel, Edling, Penzing, Bachmehring, Aham und Freiham in die Stadt Wasserburg eingegliedert werden sollen, stießen bei den Entscheidungsträgern der betroffenen Gemeinden auf taube Ohren. Die Gemeinden Aham, Freiham, Bachmehring und Schönberg hatten ihrerseits bereits 1970 beim Bayerischen Innenministerium beantragt, sich zu einer Gemeinde zusammenschließen zu können, und zwar ohne Wasserburg. Da das Innenministerium entschieden hatte, dass Eingemeindungen bis 1976 nur auf freiwilliger Basis erfolgen könnten <ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#BayHStA, MINN 94866|BayHStA, MINN 94866]].</ref>, schied eine Eingemeindung der neu entstandenen Gemeinde Eiselfing mit Aham, Freiham, Schönberg und Bachmehring nach Wasserburg aus <ref>Das Bayerische Innenministerium hatte dieser Planung zugestimmt. Im Schreiben vom 3.3.1971 werden die Bemühungen der Stadt Wasserburg, die angrenzenden Gemeinden in die Stadt zu integrieren, nicht erwähnt, die Stadt Wasserburg als Empfängerin dieses Schreibens auch zunächst gar nicht erwähnt und erst später handschriftlich eingefügt. In diesem Schreiben findet sich noch folgende handschriftliche Einfügung: ''Die Angelegenheit wurde am 24.8. mit Herrn LR Bauer besprochen. Der Landrat wird die Gemeinden ermuntern, ihre grundsätzl. Bereitschaft zu Grenzbereinigungen mit der Stadt Wasserburg zu erklären. Dagegen würde nach Meinung des Landrats der Zusammenschluß scheitern, wenn den Wünschen der Stadt Wasserburg auch nur annähernd entsprochen werden wollte.'' [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#BayHStA, MINN 93901/I|BayHStA, MINN 93901/I]].</ref>.  
  
Andererseits benötigte die Stadt Wasserburg dringend Erweiterungen, da durch die Lage am Inn die Eingemeindung gerade im Hinblick auf die Ausweisung neuer Baugebiete nicht einfach war. Viele Entscheidungsträger ermutigten dzf. die Stadt dazu, ihre Erweiterungen im Westen zu suchen, also Reitmehring, Attel und Edling als Orte zu verstehen, die nach Wasserburg eingemeindet werden könnten.
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Andererseits war die Stadt Wasserburg bemüht, neue Baugebiete auszuweisen, damit die Zuzugsmöglichkeiten nach Wasserburg offen blieben. Da die Stadt durch die Auflösung des Landkreises Wasserburg einen Bedeutungsverlust befürchtete, war diese Perspektive der Erweiterung für die Stadtväter wichtig. Und die Lage am Inn beschränkte die Erweiterungsmöglichkeiten. Viele Entscheidungsträger ermutigten demzufolge die Stadt dazu, ihre Erweiterungen im Westen zu suchen, also Reitmehring, Attel und Edling als Orte zu verstehen, die nach Wasserburg eingemeindet werden könnten. So betrieb man die Eingemeindung von Reitmehring, Attel und Edling aktiv und stieß gerade bei den Bewohnern von Attel und Edling auf heftigste Widerstände. Dort wollte man die eigene Unabhängigkeit bewahren und nach Wasserburg wollte man auf keinen Fall eingemeindet werden. So entstand die Gemeinde Eiselfing als Zusammenschluss der Gemeinden Aham, Freiham, Teilen von Schönberg und Bachmehring mit Zentrum in Kircheiselfing <ref> ''In ihrer heutigen Form ist die Kommune erst am 1. April 1971 durch die Zusammenlegung der bis dahin eigenständigen Gemeinden Aham, Bachmehring, Freiham und Schönberg entstanden und daher vergleichsweise jung. Ihren Namen erhielt die neue Gemeinde vom damaligen Hauptort Bachmehrings: Aus Kircheiselfing wurde Eiselfing''. Vgl. https://www.landkreis-rosenheim.de/gemeinde/eiselfing/.</ref>. Damit war die Eingemeindung von Bachmehring nach Wasserburg gescheitert, was in Wasserburg mit Unverständnis aufgenommen wurde, da Wasserburg beim Innenministerium darauf insistiert hatte, dass Bachmehring zu Wasserburg eingemeindet werden solle, da die Ortschaft Bachmehring von Wasserburg mit Wasser versorgt werde und nach den Vorstellungen des Wasserwirtschaftsamtes in das überörtliche Kanalisationssystem der Stadt einschließlich Kläranlage einbezogen werden sollte <ref>Vgl. Schreiben der Stadt Wasserburg an das Landratsamt Wasserburg vom 6.4.1970, [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#BayHStA, MINN 93901/II|BayHStA, MINN 93901/II]].</ref>. Dennoch beherzigte man den Grundsatz, dass, soweit möglich, keine Gemeinde gegen ihren Willen in eine andere Gemeinde eingemeindet würde. Die Bereitschaft zur Eingemeindung hat der Freistaat Bayern den betroffenen Gemeinden mit großzügigen Unterstützungen versüßt.  
So betrieb man die Eingemeindung von Reitmehring, Attel und Edling aktiv und stieß gerade bei den Bewohnern von Attel und Edling auf heftigste Widerstände. Dort wollte man die eigene Unabhängigkeit bewahren und nach Wasserburg wollte man auf keinen Fall eingemeindet werden. So entstand die Gemeinde Eiselfing als Zusammenschluss der Gemeinden Aham, Freiham Teilen von Schönberg und Bachmehring mit Zentrum in Kircheiselfing <ref> '' „In ihrer heutigen Form ist die Kommune erst am 1. April 1971 durch die Zusammenlegung der bis dahin eigenständigen Gemeinden Aham, Bachmehring, Freiham und Schönberg entstanden und daher vergleichsweise jung. Ihren Namen erhielt die neue Gemeinde vom damaligen Hauptort Bachmehrings: Aus Kircheiselfing wurde Eiselfing“. '' https://www.landkreis-rosenheim.de/gemeinde/eiselfing/.</ref>. Damit war die Eingemeindung von Bachmehring nach Wasserburg gescheitert, was in Wasserburg mit Unverständnis aufgenommen wurde, da Wasserburg beim Innenministerium darauf insistiert hatte, dass Bachmehring zu Wasserburg eingemeindet werden solle, da die Ortschaft Bachmehring von Wasserburg mit Wasser versorgt werde und nach den Vorstellungen des Wasserwirtschaftsamtes in das überörtliche Kanalisationssystem der Stadt einschließlich Kläranlage einbezogen werden sollte <ref>Vgl. Schreiben der Stadt Wasserburg an das Landratsamt Wasserburg vom 6.4.1970, in: [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#BayHStA, MINN 93901/II|BayHStA, MINN 93901/II]].</ref>. Dennoch beherzigte man den Grundsatz, dass, soweit möglich, keine Gemeinde gegen ihren Willen in eine andere Gemeinde eingemeindet würde. Die Bereitschaft zur Eingemeindung hat der Freistaat Bayern den betroffenen Gemeinden mit großzügigen Unterstützungen versüßt.  
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Ebenso verhielt es sich mit Penzing. Auch diese Gemeinde sollte nach dem Willen der Wasserburger Stadtväter nach Wasserburg eingemeindet werden, aber Penzing wollte auf keinen Fall ein Teil Wasserburgs werden und schloss sich deshalb mit Babensham und Teilen von Schönberg zur Gemeinde Babensham zusammen <ref>Der 2. Bürgermeister Kaiser betont die Bereitschaft, mit den umliegenden Gemeinden (das heißt: Attel, Penzing, Babensham, Schönberg, Evenhausen, Bachmehring, Aham, Freiham) eng zusammenzuarbeiten, sich zu vereinigen. Kaiser betont dabei, dass die Stadt Wasserburg großzügige Angebote an die Nachbargemeinden gemacht habe und darauf keine Antwort bekommen habe und dass manche Gemeinde ihre Ablehnung an Wasserburg in der Presse publiziert habe. [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#BayHStA, MINN 93901/II|BayHStA, MINN 93901/II]].</ref>. Aber die Gemeinde war nach den Vorgaben der Gemeindegebietsreform immer noch nicht lebensfähig. Deshalb wurde eine Verwaltungsgemeinschaft mit Eiselfing und Kling gebildet, die aber nur vom 1. Mai 1978 bis 31. Dezember 1979 Bestand hatte.  
Ebenso verhielt es sich mit Penzing. Auch diese Gemeinde sollte nach dem Willen der Wasserburger Stadtväter nach Wasserburg eingemeindet werden, aber Penzing wollte auf keinen Fall ein Teil Wasserburgs werden und schloss sich deshalb mit Babensham und Teilen von Schönberg zur Gemeinde Babensham zusammen <ref>Vgl. ebenda. Der 2. Bürgermeister Kaiser betont die Bereitschaft, mit den umliegenden Gemeinden (i.e.: Attel, Penzing, Babensham, Schönberg, Evenhausen, Bachmehring, Aham, Freiham) eng zusammenzuarbeiten, sich zu vereinigen. Kaiser betont dabei, dass die Stadt Wasserburg großzügige Angebote an die Nachbargemeinden gemacht habe und darauf keine Antwort bekommen habe und dass manche Gemeinde ihre Ablehnung an Wasserburg in der Presse publiziert habe.</ref>. Aber die Gemeinde war nach den Vorgaben der Gemeindegebietsreform immer noch nicht lebensfähig. Deshalb wurde eine Verwaltungsgemeinschaft mit Eiselfing und Kling gebildet, die aber nur vom 1.5.1978 bis 31.12.1979 Bestand hatte.  
 
  
Wasserburg konnte sich deshalb nur nach Westen ausdehnen und hatte hier die Gemeinden Attel (mit Reitmehring) und Edling im Auge <ref>Bis 1976 waren Eingemeindungen nur auf freiwilliger Basis möglich. In einem Schreiben des 1. Bürgermeisters Huber der Gemeinde Edling an das Landratsamt Rosenheim vom 26.04.1973 wird hierzu ausgeführt, dass die Gemeinden Edling und Attel eine Einheitsgemeinde bilden wollten und nicht nach Wasserburg einverleibt werden wollten. Die Gemeinde Attel beschließt am 11.04.1973 mit 13:3 Stimmen eine Zusammenlegung mit Edling zu fordern. Aktennotiz des BayStM Innern (I B 3 - 3000 - 41a vom 10.10.1973): Staatssekretär Kiesl erklärt, er könne sich Einheitsgemeinde aus Pfaffing und Albaching durchaus vorstellen, mit einem Teil von Attel dazu. Der Rest von Attel sollte in die Stadt Wasserburg eingegliedert werden. Er bringt auch zum Ausdruck, dass die Stadt Wasserburg noch erheblich erweitert werden müsste. Der Staatsminister des Innern rate dazu, neben  Gabersee und Reitmehring auch Kircheiselfing und Bachmehring nach Wasserburg einzugemeinden. (Vgl. [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#BayHStA, MINN 94866|BayHStA, MINN 94866]]).</ref>. Man erhoffte sich hiervon in Wasserburg neue Siedlungsgebiete, damit Wasserburg seiner Rolle als Mittelzentrum auch gerecht werden konnte. In der Gemeinde Attel versuchte man erfolglos, die Eingemeindung zu verhindern. Der Widerstand gegen die Eingemeindung war in Edling allerdings viel heftiger.   
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Wasserburg konnte sich deshalb nur nach Westen ausdehnen und hatte hier die Gemeinden Attel (mit Reitmehring) und Edling im Auge <ref>Bis 1976 waren Eingemeindungen nur auf freiwilliger Basis möglich. In einem Schreiben des 1. Bürgermeisters Huber der Gemeinde Edling an das Landratsamt Rosenheim vom 26.4.1973 wird hierzu ausgeführt, dass die Gemeinden Edling und Attel eine Einheitsgemeinde bilden wollten und nicht nach Wasserburg einverleibt werden wollten. Die Gemeinde Attel beschließt am 11.4.1973 mit 13:3 Stimmen eine Zusammenlegung mit Edling zu fordern. Aktennotiz des BayStM Innern (I B 3 - 3000 - 41a vom 10.10.1973): Staatssekretär Kiesl erklärt, er könne sich eine Einheitsgemeinde aus Pfaffing und Albaching durchaus vorstellen, mit einem Teil von Attel dazu. Der Rest von Attel sollte in die Stadt Wasserburg eingegliedert werden. Er bringt auch zum Ausdruck, dass die Stadt Wasserburg noch erheblich erweitert werden müsste. Der Staatsminister des Innern rate dazu, neben  Gabersee und Reitmehring auch Kircheiselfing und Bachmehring nach Wasserburg einzugemeinden. [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#BayHStA, MINN 94866|BayHStA, MINN 94866]].</ref>. Man erhoffte sich hiervon in Wasserburg neue Siedlungsgebiete, damit Wasserburg seiner Rolle als Mittelzentrum auch gerecht werden konnte. In der Gemeinde Attel versuchte man erfolglos, die Eingemeindung zu verhindern. Der Widerstand gegen die Eingemeindung war in Edling allerdings viel heftiger.   
  
Die Wiedererlangung der Selbstständigkeit wurde in Edling teilweise in einer Weise betrieben, als ginge es um die Wahrung der Freiheitsrechte der Menschen. Als im Mai 1978 endgültig verfügt wurde, dass Edling Teil der Stadt Wasserburg würde, kämpfte Edling nunmehr juristisch gegen diese Eingemeindung. Im Februar 1979 wurde die „Bürgervereinigung zur Wiedererlangung der Eigenständigkeit der Gemeinde Edling“ gegründet. Vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof strengte man in einer Popularklage die Rücknahme der Eingemeindung an. Am 29. April 1981 entschied dann der Bayerische Verfassungsgerichtshof, ''„dass die Auflösung der Gemeinde nach der Zielsetzung der Gemeindegebietsreform nicht geboten gewesen war <ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Drax, Edling|Drax, Edling]].</ref>.'' Und weiterhin wird ausgeführt: ''[…] dass die für die Eingliederung von Edling in die Stadt Wasserburg sprechenden Gründe nicht gewichtig genug sind, um den Eingriff in den Fortbestand dieser Gemeinde zu rechtfertigen“'' <ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Drax, Edling|Drax, Edling]].</ref>. .
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Die Wiedererlangung der Selbstständigkeit wurde in Edling teilweise in einer Weise betrieben, als ginge es um die Wahrung der Freiheitsrechte der Menschen. Als im Mai 1978 endgültig verfügt wurde, dass Edling Teil der Stadt Wasserburg würde, kämpfte Edling nunmehr juristisch gegen diese Eingemeindung. Im Februar 1979 wurde die ''Bürgervereinigung zur Wiedererlangung der Eigenständigkeit der Gemeinde Edling'' gegründet. Vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof strengte man in einer Popularklage die Rücknahme der Eingemeindung an. Am 29. April 1981 entschied dann der Bayerische Verfassungsgerichtshof, ''dass die Auflösung der Gemeinde nach der Zielsetzung der Gemeindegebietsreform nicht geboten gewesen war <ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Drax, Edling|Drax, Edling]].</ref>.'' Und weiterhin wird ausgeführt: ''[…] dass die für die Eingliederung von Edling in die Stadt Wasserburg sprechenden Gründe nicht gewichtig genug sind, um den Eingriff in den Fortbestand dieser Gemeinde zu rechtfertigen'' <ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Drax, Edling|Drax, Edling]].</ref>.  
  
 
'''Gemeinde Albaching'''
 
'''Gemeinde Albaching'''
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'''Zillham / Schonstett / Halfing / Höslwang'''
 
'''Zillham / Schonstett / Halfing / Höslwang'''
  
Bereits im Frühjahr 1970 zeichnete sich ab, dass die Gemeinden Schonstett, Zillham, Halfing und Höslwang ihre Eigenständigkeit nicht würden wahren können. So gab es Gespräche der vier Gemeinden, was eine gewisse Brisanz entfaltete, weil sich Zillham und Schonstett im Landkreis Wasserburg befanden, während Höslwang und Halfing im Landkreis Rosenheim lagen. Im Bayerischen Innenministerium wollte man Gemeindegründungen, die Landkreisgrenzen überschritten, wohl so weit wie möglich vermeiden. Erst als Frühjahr 1971 ruchbar wurde, dass der Landkreis Wasserburg aufgelöst werden würde, aktivierte man die Idee der Verwaltungsgemeinschaft neu und setzte sie in die Tat um. Ob der Wunsch im Bayerischen Innenministerium, diese Verwaltungsgemeinschaft zu ermöglichen, die Entscheidung, den Landkreis Wasserburg aufzulösen, beeinflusst hat, lässt sich aus den Quellen leider nicht bestätigen, zumal ein beachtlicher Teil der Akten des Landkreises Wasserburg nicht mehr auffindbar ist bzw. die Akten der Staatskanzlei immer noch nicht frei zugänglich sind.
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Bereits im Frühjahr 1970 zeichnete sich ab, dass die Gemeinden Schonstett, Zillham, Halfing und Höslwang ihre Eigenständigkeit nicht würden wahren können. So gab es Gespräche der vier Gemeinden, was eine gewisse Brisanz entfaltete, weil sich Zillham und Schonstett im Landkreis Wasserburg befanden, während Höslwang und Halfing im Landkreis Rosenheim lagen. Im Bayerischen Innenministerium wollte man Gemeindegründungen, die Landkreisgrenzen überschritten, wohl so weit wie möglich vermeiden. Erst als im Frühjahr 1971 ruchbar wurde, dass der Landkreis Wasserburg aufgelöst werden würde, aktivierte man die Idee der Verwaltungsgemeinschaft neu und setzte sie in die Tat um. Ob der Wunsch im Bayerischen Innenministerium, diese Verwaltungsgemeinschaft zu ermöglichen, die Entscheidung, den Landkreis Wasserburg aufzulösen, beeinflusst hat, lässt sich aus den Quellen leider nicht bestätigen, zumal ein beachtlicher Teil der Akten des Landkreises Wasserburg nicht mehr auffindbar ist bzw. die Akten der Staatskanzlei immer noch nicht frei zugänglich sind.
  
Zillham wurde am 1.1.1971 in die Gemeinde Schonstett eingemeindet. Die Verwaltungsgemeinschaft Halfing mit den Mitgliedsgemeinden Höslwang, Halfing und Schonstett wurde 1978 gebildet und existiert seither.
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Zillham wurde am 1. Januar 1971 in die Gemeinde Schonstett eingemeindet. Die Verwaltungsgemeinschaft Halfing mit den Mitgliedsgemeinden Höslwang, Halfing und Schonstett wurde 1978 gebildet und existiert seither.
  
 
== Die Folgen der Gebietsreform ==
 
== Die Folgen der Gebietsreform ==
  
Es hat im ehemaligen Landkreis Wasserburg sehr viel Wirbel um die Gebietsreform gegeben. Man muss aber letztlich sagen, dass zwar manche Wege für die Bürger länger geworden sind, das Leben sich aber nicht verkompliziert hat, jedenfalls nicht durch die Gebietsreform. Wasserburg und Umgebung haben von der Prosperität des Landkreises Rosenheim eindeutig profitiert und das Leben der Menschen hat sich nach den erfolgreichen Klagen gegen einzelne Eingemeindungen auch wieder beruhigt.
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Im Endergebnis hat Wasserburg als Mittelzentrum lediglich die Gemeinde Attel/Reitmehring samt ihrer zahlreichen zugehörigen Ortsteile eingemeinden können<ref>Zu Wasserburg a. Inn zählen heute 22 Gemeindeteile: Attel, Attlerau, Au, Edgarten, Elend, Gabersee, Gern, Heberthal, Kobl, Kornberg, Kroit, Langwiederberg, Limburg, Osterwies, Reisach, Reitmehring, Rottmoos, Seewies, Staudham, Viehhausen, Wasserburg a.Inn, Weikertsham.</ref>. Allerdings ist doch festzustellen, dass gerade die ehemals eigenständige Gemeinde Attel/Reitmehring auch auf ein gewisses Eigenleben achtet. So gibt es eine Wählervereinigung, die für den Stadtrat kandidiert und auch Sitze im Stadtrat erzielt hat, die ausschließlich aus Reitmehringer Bürgern besteht. Attel führt durch die Stiftung Attl und das angeschlossene ''Zuhause für Menschen mit geistiger Behinderung''<ref>So auf der Website der Stiftung Attl zu lesen, URL: https://www.stiftung.attl.de (29.9.2021).</ref>ein gewisses Eigenleben. Die Menschen aus der Stiftung Attl sind aber bestens in die städtische Gesellschaft integriert. Insgesamt hat sich der Wirbel um die Gemeindegebietsreform zwischenzeitlich im Großen und Ganzen beruhigt.
 
 
 
 
 
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Aktuelle Version vom 4. Oktober 2021, 01:09 Uhr

Autor: Peter Rink

Die Gemeindegebietsreform im Bereich des (Alt-)Landkreises Wasserburg a. Inn

Einführung
Zwischen 1969 und 1978 wurde in Bayern eine umfassende kommunale Gebietsreform durchgeführt. Diese bestand aus einer Gemeindegebietsreform, einer Landkreisreform[1] und einer Funktionalreform [2]. Im Zuge dieser Reform wurde sowohl die Zahl der Landkreise in Bayern (von 143 auf 71), als auch der kreisfreien Städte (von 48 auf 25) deutlich reduziert. Eine noch erheblichere Wirkung hatte jedoch die Gemeindegebietsreform, da hierdurch 5.021 der 7.073 Gemeinden in Bayern ihre Eigenständigkeit verloren [3].

Motivation und Ziele der Gemeindegebietsreform

Anders als in anderen Bundesländern basierte die Gebietsreform in Bayern, auch die Gemeindegebietsreform, nicht so sehr auf den Ergebnissen von wissenschaftlichen Kommissionen, sondern auf zahlreichen Gutachten und Meinungen verschiedener Gruppen aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft [4]. Man wollte in Bayern augenscheinlich Entscheidungen, welche die gewachsenen Traditionen der Gemeinden außer Acht lassen, vermeiden. Besonders augenfällig für eine fehlgeleitete Gemeindegebietsreform war in Hessen wohl die Gründung der Stadt Lahn als Zusammenschluss der Städte Gießen und Wetzlar nebst zahlreichen kleinen Gemeinden. Dieses Stadtkonstrukt hielt tatsächlich nur 31 Monate und gilt heute vielen als Musterbeispiel einer fehlgeleiteten Gebietsreform.

In Bayern war die Gemeindegebietsreform, ähnlich wie die Kreisgebietsreform, geleitet vom Bewusstsein, dass der starke Wandel der Lebensverhältnisse vor allem im ländlichen Raum und die Ausweitung der öffentlichen Aufgaben in den Gemeinden zu einer Überforderung vor allem der ehrenamtlichen Bürgermeister und der weniger geschulten Verwaltungskräfte geführt habe und hat führen müssen. Die großen Ziele der Reform waren für die Reformer letztlich eine Steigerung der Effektivität und der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung. Man wollte zweierlei: Zum einen sollte gewährleistet werden, dass durch den Einsatz von hauptamtlichem Personal die Qualität der Verwaltungsarbeit verbessert werden kann, zum anderen sollte durch die Verlagerung staatlicher Aufgaben von den Landkreisen auf die künftig auch finanziell besser ausgestatteten Gemeinden eine größere Bürgernähe erreicht werden. Damit sollte dann letztendlich die kommunale Selbstverwaltung gestärkt werden [5].

Durchführung

Die Gemeindegebietsreform in Bayern war bereits seit 1969, seit der Finanzreform in Bayern, virulent. Allerdings galt zu dieser Zeit bis einschließlich 1. Januar 1976 die sogenannte Freiwilligkeitsphase, d.h. Gemeinden, die sich von den neuen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung zu stark gefordert fühlten, sollten sich eigenständig zu größeren Einheiten zusammenschließen oder von größeren Gemeinden eingliedern lassen. Alle Gemeinden, die bis 1975 Beschlüsse nach den Eingemeindungsbeschlüssen des Bayerischen Innenministeriums zusammenschlossen, konnten mit staatlichen Zuschüssen rechnen. Allen Gemeinden, die dies nicht wie gefordert umsetzten, wurden die Zuschüsse gestrichen. Dieses Verhalten der Staatsregierung wurde von nicht wenigen Gemeinden als Angebotsdiktatur empfunden.

Umsetzung im Landkreis Wasserburg

In diesem Artikel wird das Augenmerk auf die Gemeindegebietsreform im Landkreis Wasserburg bzw. im ehemaligen Landkreis Wasserburg gerichtet. Im Landkreis Wasserburg gab es mehrere Diskussions- und Streitfälle, von denen die folgenden drei näher beleuchtet werden sollen:

Stadt Wasserburg

Plakat der Protestbewetung.
Edling Einig Frei.
Edling muß wieder selbständig werden!

Schon relativ früh war allen Beteiligten klar, dass Wasserburg entweder als Kreisstadt eines Kreises Wasserburg oder als Mittelzentrum, falls der Landkreis Wasserburg aufgelöst werden sollte, eine starke Einheitsgemeinde werden würde. Initiativen der Stadt Wasserburg, die bis ins Jahr 1969 zurückreichen, wonach die Gemeinden Attel, Edling, Penzing, Bachmehring, Aham und Freiham in die Stadt Wasserburg eingegliedert werden sollen, stießen bei den Entscheidungsträgern der betroffenen Gemeinden auf taube Ohren. Die Gemeinden Aham, Freiham, Bachmehring und Schönberg hatten ihrerseits bereits 1970 beim Bayerischen Innenministerium beantragt, sich zu einer Gemeinde zusammenschließen zu können, und zwar ohne Wasserburg. Da das Innenministerium entschieden hatte, dass Eingemeindungen bis 1976 nur auf freiwilliger Basis erfolgen könnten [6], schied eine Eingemeindung der neu entstandenen Gemeinde Eiselfing mit Aham, Freiham, Schönberg und Bachmehring nach Wasserburg aus [7].

Andererseits war die Stadt Wasserburg bemüht, neue Baugebiete auszuweisen, damit die Zuzugsmöglichkeiten nach Wasserburg offen blieben. Da die Stadt durch die Auflösung des Landkreises Wasserburg einen Bedeutungsverlust befürchtete, war diese Perspektive der Erweiterung für die Stadtväter wichtig. Und die Lage am Inn beschränkte die Erweiterungsmöglichkeiten. Viele Entscheidungsträger ermutigten demzufolge die Stadt dazu, ihre Erweiterungen im Westen zu suchen, also Reitmehring, Attel und Edling als Orte zu verstehen, die nach Wasserburg eingemeindet werden könnten. So betrieb man die Eingemeindung von Reitmehring, Attel und Edling aktiv und stieß gerade bei den Bewohnern von Attel und Edling auf heftigste Widerstände. Dort wollte man die eigene Unabhängigkeit bewahren und nach Wasserburg wollte man auf keinen Fall eingemeindet werden. So entstand die Gemeinde Eiselfing als Zusammenschluss der Gemeinden Aham, Freiham, Teilen von Schönberg und Bachmehring mit Zentrum in Kircheiselfing [8]. Damit war die Eingemeindung von Bachmehring nach Wasserburg gescheitert, was in Wasserburg mit Unverständnis aufgenommen wurde, da Wasserburg beim Innenministerium darauf insistiert hatte, dass Bachmehring zu Wasserburg eingemeindet werden solle, da die Ortschaft Bachmehring von Wasserburg mit Wasser versorgt werde und nach den Vorstellungen des Wasserwirtschaftsamtes in das überörtliche Kanalisationssystem der Stadt einschließlich Kläranlage einbezogen werden sollte [9]. Dennoch beherzigte man den Grundsatz, dass, soweit möglich, keine Gemeinde gegen ihren Willen in eine andere Gemeinde eingemeindet würde. Die Bereitschaft zur Eingemeindung hat der Freistaat Bayern den betroffenen Gemeinden mit großzügigen Unterstützungen versüßt. Ebenso verhielt es sich mit Penzing. Auch diese Gemeinde sollte nach dem Willen der Wasserburger Stadtväter nach Wasserburg eingemeindet werden, aber Penzing wollte auf keinen Fall ein Teil Wasserburgs werden und schloss sich deshalb mit Babensham und Teilen von Schönberg zur Gemeinde Babensham zusammen [10]. Aber die Gemeinde war nach den Vorgaben der Gemeindegebietsreform immer noch nicht lebensfähig. Deshalb wurde eine Verwaltungsgemeinschaft mit Eiselfing und Kling gebildet, die aber nur vom 1. Mai 1978 bis 31. Dezember 1979 Bestand hatte.

Wasserburg konnte sich deshalb nur nach Westen ausdehnen und hatte hier die Gemeinden Attel (mit Reitmehring) und Edling im Auge [11]. Man erhoffte sich hiervon in Wasserburg neue Siedlungsgebiete, damit Wasserburg seiner Rolle als Mittelzentrum auch gerecht werden konnte. In der Gemeinde Attel versuchte man erfolglos, die Eingemeindung zu verhindern. Der Widerstand gegen die Eingemeindung war in Edling allerdings viel heftiger.

Die Wiedererlangung der Selbstständigkeit wurde in Edling teilweise in einer Weise betrieben, als ginge es um die Wahrung der Freiheitsrechte der Menschen. Als im Mai 1978 endgültig verfügt wurde, dass Edling Teil der Stadt Wasserburg würde, kämpfte Edling nunmehr juristisch gegen diese Eingemeindung. Im Februar 1979 wurde die Bürgervereinigung zur Wiedererlangung der Eigenständigkeit der Gemeinde Edling gegründet. Vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof strengte man in einer Popularklage die Rücknahme der Eingemeindung an. Am 29. April 1981 entschied dann der Bayerische Verfassungsgerichtshof, dass die Auflösung der Gemeinde nach der Zielsetzung der Gemeindegebietsreform nicht geboten gewesen war [12]. Und weiterhin wird ausgeführt: […] dass die für die Eingliederung von Edling in die Stadt Wasserburg sprechenden Gründe nicht gewichtig genug sind, um den Eingriff in den Fortbestand dieser Gemeinde zu rechtfertigen [13].

Gemeinde Albaching

Auch die Gemeinde Albaching sollte aufgelöst werden und Teil der Gemeinde Pfaffing werden. Der Grund ist einfach. Albaching unterschritt die für eine Einzelgemeinde avisierte notwendige Einwohnerzahl von 5.000 deutlich. Dennoch regte sich großer Widerstand, der zu einer Klage führte. Über diese Klage wurde erst 1993 entschieden, sodass Albaching seit 1.1.1994 wieder eine eigenständige Gemeinde in der Verwaltungsgemeinschaft Pfaffing ist.

Zillham / Schonstett / Halfing / Höslwang

Bereits im Frühjahr 1970 zeichnete sich ab, dass die Gemeinden Schonstett, Zillham, Halfing und Höslwang ihre Eigenständigkeit nicht würden wahren können. So gab es Gespräche der vier Gemeinden, was eine gewisse Brisanz entfaltete, weil sich Zillham und Schonstett im Landkreis Wasserburg befanden, während Höslwang und Halfing im Landkreis Rosenheim lagen. Im Bayerischen Innenministerium wollte man Gemeindegründungen, die Landkreisgrenzen überschritten, wohl so weit wie möglich vermeiden. Erst als im Frühjahr 1971 ruchbar wurde, dass der Landkreis Wasserburg aufgelöst werden würde, aktivierte man die Idee der Verwaltungsgemeinschaft neu und setzte sie in die Tat um. Ob der Wunsch im Bayerischen Innenministerium, diese Verwaltungsgemeinschaft zu ermöglichen, die Entscheidung, den Landkreis Wasserburg aufzulösen, beeinflusst hat, lässt sich aus den Quellen leider nicht bestätigen, zumal ein beachtlicher Teil der Akten des Landkreises Wasserburg nicht mehr auffindbar ist bzw. die Akten der Staatskanzlei immer noch nicht frei zugänglich sind.

Zillham wurde am 1. Januar 1971 in die Gemeinde Schonstett eingemeindet. Die Verwaltungsgemeinschaft Halfing mit den Mitgliedsgemeinden Höslwang, Halfing und Schonstett wurde 1978 gebildet und existiert seither.

Die Folgen der Gebietsreform

Im Endergebnis hat Wasserburg als Mittelzentrum lediglich die Gemeinde Attel/Reitmehring samt ihrer zahlreichen zugehörigen Ortsteile eingemeinden können[14]. Allerdings ist doch festzustellen, dass gerade die ehemals eigenständige Gemeinde Attel/Reitmehring auch auf ein gewisses Eigenleben achtet. So gibt es eine Wählervereinigung, die für den Stadtrat kandidiert und auch Sitze im Stadtrat erzielt hat, die ausschließlich aus Reitmehringer Bürgern besteht. Attel führt durch die Stiftung Attl und das angeschlossene Zuhause für Menschen mit geistiger Behinderung[15]ein gewisses Eigenleben. Die Menschen aus der Stiftung Attl sind aber bestens in die städtische Gesellschaft integriert. Insgesamt hat sich der Wirbel um die Gemeindegebietsreform zwischenzeitlich im Großen und Ganzen beruhigt.

Empfohlene Zitierweise:

Peter Rink, Gemeindegebietsreform, publiziert am 04.10.2021 [=Tag der letzten Änderung(en) an dieser Seite]; in: Historisches Lexikon Wasserburg, URL: https://www.historisches-lexikon-wasserburg.de/Gemeindegebietsreform (28.03.2024)
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  1. Vgl. den entsprechenden Artikel in diesem Lexikon.
  2. Mattern, Gebietsreform.
  3. Mattern, Gebietsreform.
  4. Mattern, Gebietsreform.
  5. Mattern, Gebietsreform.
  6. BayHStA, MINN 94866.
  7. Das Bayerische Innenministerium hatte dieser Planung zugestimmt. Im Schreiben vom 3.3.1971 werden die Bemühungen der Stadt Wasserburg, die angrenzenden Gemeinden in die Stadt zu integrieren, nicht erwähnt, die Stadt Wasserburg als Empfängerin dieses Schreibens auch zunächst gar nicht erwähnt und erst später handschriftlich eingefügt. In diesem Schreiben findet sich noch folgende handschriftliche Einfügung: Die Angelegenheit wurde am 24.8. mit Herrn LR Bauer besprochen. Der Landrat wird die Gemeinden ermuntern, ihre grundsätzl. Bereitschaft zu Grenzbereinigungen mit der Stadt Wasserburg zu erklären. Dagegen würde nach Meinung des Landrats der Zusammenschluß scheitern, wenn den Wünschen der Stadt Wasserburg auch nur annähernd entsprochen werden wollte. BayHStA, MINN 93901/I.
  8. In ihrer heutigen Form ist die Kommune erst am 1. April 1971 durch die Zusammenlegung der bis dahin eigenständigen Gemeinden Aham, Bachmehring, Freiham und Schönberg entstanden und daher vergleichsweise jung. Ihren Namen erhielt die neue Gemeinde vom damaligen Hauptort Bachmehrings: Aus Kircheiselfing wurde Eiselfing. Vgl. https://www.landkreis-rosenheim.de/gemeinde/eiselfing/.
  9. Vgl. Schreiben der Stadt Wasserburg an das Landratsamt Wasserburg vom 6.4.1970, BayHStA, MINN 93901/II.
  10. Der 2. Bürgermeister Kaiser betont die Bereitschaft, mit den umliegenden Gemeinden (das heißt: Attel, Penzing, Babensham, Schönberg, Evenhausen, Bachmehring, Aham, Freiham) eng zusammenzuarbeiten, sich zu vereinigen. Kaiser betont dabei, dass die Stadt Wasserburg großzügige Angebote an die Nachbargemeinden gemacht habe und darauf keine Antwort bekommen habe und dass manche Gemeinde ihre Ablehnung an Wasserburg in der Presse publiziert habe. BayHStA, MINN 93901/II.
  11. Bis 1976 waren Eingemeindungen nur auf freiwilliger Basis möglich. In einem Schreiben des 1. Bürgermeisters Huber der Gemeinde Edling an das Landratsamt Rosenheim vom 26.4.1973 wird hierzu ausgeführt, dass die Gemeinden Edling und Attel eine Einheitsgemeinde bilden wollten und nicht nach Wasserburg einverleibt werden wollten. Die Gemeinde Attel beschließt am 11.4.1973 mit 13:3 Stimmen eine Zusammenlegung mit Edling zu fordern. Aktennotiz des BayStM Innern (I B 3 - 3000 - 41a vom 10.10.1973): Staatssekretär Kiesl erklärt, er könne sich eine Einheitsgemeinde aus Pfaffing und Albaching durchaus vorstellen, mit einem Teil von Attel dazu. Der Rest von Attel sollte in die Stadt Wasserburg eingegliedert werden. Er bringt auch zum Ausdruck, dass die Stadt Wasserburg noch erheblich erweitert werden müsste. Der Staatsminister des Innern rate dazu, neben Gabersee und Reitmehring auch Kircheiselfing und Bachmehring nach Wasserburg einzugemeinden. BayHStA, MINN 94866.
  12. Drax, Edling.
  13. Drax, Edling.
  14. Zu Wasserburg a. Inn zählen heute 22 Gemeindeteile: Attel, Attlerau, Au, Edgarten, Elend, Gabersee, Gern, Heberthal, Kobl, Kornberg, Kroit, Langwiederberg, Limburg, Osterwies, Reisach, Reitmehring, Rottmoos, Seewies, Staudham, Viehhausen, Wasserburg a.Inn, Weikertsham.
  15. So auf der Website der Stiftung Attl zu lesen, URL: https://www.stiftung.attl.de (29.9.2021).