Wirtschaft während der Weimarer Republik

Aus Historisches Lexikon Wasserburg
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Autor: Tobias Birken

Die Entwicklung der Wasserburger Wirtschaft in den Jahren 1918 bis 1933

„Da kam der große Krieg und nach ihm seine verheerendste Folgeerscheinung, die Inflation“ –
Das Kriegsende und dessen Folgen für Bayern

Die Folgen des Ersten Weltkriegs und des damit verbundenen Endes der deutschen Monarchie(n) waren auch für die bayerische Wirtschaft spürbar. Bayern hatte seine Eigenstaatlichkeit verloren und war nun ein Teilstaat des Deutschen Reiches, ohne die alten Sonderrechte, die man als Königreich noch gehabt hatte. Die großen Entscheidungen wurden nicht mehr in München, sondern in Berlin gefällt. Was aber schwerer wog, war der weitgehende Verlust der Einnahmen aus den direkten Steuern, die nun an das Reich flossen. Die Reichsregierung wiederum benötigte die Einnahmen, um die massiven Staatsschulden sowie die gewaltigen Ausgaben finanzieren zu können, die die Umstellung der Kriegswirtschaft und die Rückkehr von Millionen Soldaten nötig machten. Dies betraf auch Kommunen wie Wasserburg, denen zunächst Steuereinnahmen wegbrachen, während die Ausgaben für soziale Leistungen stiegen.[1]

Staat und Wirtschaft hatten darüber hinaus mit einer massiven Geldentwertung zu kämpfen, die mit Kriegsausbruch 1914 begonnen und sich gegen Ende des Jahres 1923 zu einer Hyperinflation entwickelt hatte. Immer mehr Papiergeld kam in Umlauf, die Preise erreichten astronomische Höhen. Im Herbst 1923 reichte in Wasserburg, wie in anderen Städten auch, die Menge an staatlich ausgegebenem Papiergeld nicht mehr aus, um den steigenden Geldbeträgen Herr zu werden. Daher beschloss der Stadtrat am 29. August 1923 die Ausgabe von sogenanntem Notgeld in Gesamthöhe von 20 Milliarden Mark. Ausgegeben werden sollten Scheine im Nennwert von 500.000 beziehungsweise 1 Million Mark. Als Ausgabetermin wurde der 1. September anvisiert.[2] Doch die Inflation zog weiter an. Am 9. Oktober 1923 lag der Umtauschkurs zum US-Dollar laut Wasserburger Anzeiger bei über 1,2 Milliarden Mark, während eine Schachtel Streichhölzer mindestens 40 Millionen Mark kostete.[3] Zehn Tage später, am 19. Oktober, kostete ein US-Dollar 5,5 Milliarden und ein Wasserburger musste für einen Liter Milch 60 Millionen und für ein Pfund Schwarzbrot 140 Millionen Mark zahlen.[4] Ein Ferngespräch kostete bald 500 Millionen, da war das Ortsgespräch für 50 Millionen Mark vergleichsweise „günstig“.[5]

Erst die Währungsreform 1923 beziehungsweise die Einführung der Reichsmark im August 1924 sorgten für wirtschaftspolitische Stabilität, die allerdings auf Kosten zahlreicher Sparer ging, deren Erspartes massiv entwertet wurde, während Schuldner profitierten. Die Vereinigte Städtische Sparkasse und Volksbank Wasserburg kommentierte die Ereignisse dieser Jahre: „Da kam der große Krieg und nach ihm seine verheerendste Folgeerscheinung, die Inflation. Sie brachte eine gewaltige Umwälzung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Das riesige, einst so bedeutende Gebäude der alten soliden Sparerschaft stürzte zusammen und aus seinen Trümmern erstand die Welt der Neureichen.“[6]

Der Währungsreform folgten vermeintlich „Goldene Jahre“ der wirtschaftlichen Prosperität, die allerdings 1928 einen Dämpfer erfuhren, ehe im Oktober 1929 an der Wallstreet eine Spekulationsblase platzte. Die deutsche Wirtschaft, die stark vom US-amerikanischen Kapital abhängig war, traf die darauf folgende Wirtschaftskrise mit voller Wucht. Auf wirtschaftliche Depression, Massenarbeitslosigkeit und -verelendung folgte politische Radikalisierung. Die Reichsregierung versuchte dem konjunkturellen Abstieg mit einer harten Spar- und Deflationspolitik gegen zu steuern.[7] Gleichzeitig wurden Steuern erhöht, um die steigenden Sozialausgaben begleichen zu können. Die Stadtgemeinde Wasserburg beispielsweise erhob 1931 zu diesem Zweck die Getränkesteuer, die erhöhte Biersteuer und die Bürgersteuer zum Landessatz. Für Arbeitnehmer bedeutete dies noch weniger Geld. Waren die Bruttolöhne nach 1918/19 noch gestiegen, freilich ohne dabei den tatsächlichen Lebenshaltungskosten zu entsprechen, stagnierten sie ab 1928/29, ehe sie ab 1930 sogar rückläufig waren.

Bayern hatte den Vorteil, von der Weltwirtschaftskrise vergleichsweise weniger schwer betroffen zu sein. In den Jahren der Weimarer Republik blieb das Land weiterhin stark an der Landwirtschaft ausgerichtet und die existierenden kleinen und mittleren Betriebe waren weniger abhängig von ausländischem Kapital. Die erste Industrialisierungswelle, von der Bayern nach der Gründung des Deutschen Reichs 1870/71 ergriffen worden war, flaute nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 ab und stagnierte schließlich. Die Industrialisierung vollzog sich zudem vor allem punktuell und von Region zu Region unterschiedlich. Arbeitskräfte, Rohstoffvorkommen, Verkehrslage und Energieversorgung waren entscheidend für die Ansiedlung von Industrie und Handel. Erst ab den 1930er Jahren erfasste eine zweite Industrialisierungswelle das Land, die sich aber nach wie vor besonders auf die Städte konzentrierte. Umso schwerer wog daher die Agrarkrise in den 1920er Jahren, die anfangs noch von der Inflation verdeckt worden war. Weltweit existierte eine Überproduktion an landwirtschaftlichen Gütern, was auch die Bauern in Südbayern zu spüren bekamen. Zudem wuchs die steuerliche Belastung, wodurch das Einkommen in der Landwirtschaft weiter geschmälert wurde.

„Die Änderung der Verkehrswege und die Ablenkung des Handels haben Wasserburg zu einem stillen Platz gemacht“ –
Wasserburgs Wirtschaft in der Weimarer Republik

Zentralismus, eine latente wirtschaftliche und politische Unsicherheit und der stagnierende Strukturwandel bildeten auch den wirtschaftspolitischen Rahmen, in dem sich die Stadt beziehungsweise das Bezirksamt Wasserburg in den Jahren 1919 bis 1933 bewegte. Das Bezirksamt umfasste im Jahr 1925 ein Gebiet von 65.438 Hektar mit 62 Gemeinden, 1.346 Ortschaften und insgesamt 39.677 Einwohnern. Dabei entfielen auf den Amtsgerichtsbezirk Wasserburg 34.850 Hektar, 30 Gemeinden, 598 Ortschaften und 21.898 Einwohner. Der ebenfalls zum Wasserburger Bezirksamt zählende Amtsgerichtsbezirk Haag war zwar mir 30.588 Hektar und 17.779 Einwohnern kleiner als sein Wasserburger Pendant, umfasste aber 32 Gemeinden und 748 Ortschaften, war also weit kleinräumiger besiedelt. Die Volkszählung für die Stadt Wasserburg vom 16. Juni 1925 zählte 4.385 „hier wohnhafte […] Personen“, von denen 2.022 männlich und 2.363 weiblich waren. Neben 1.036 „Haushaltungen“ existierten 372 gewerbliche und 101 landwirtschaftliche Betriebe. Auch ausländische Arbeitnehmer wurden beschäftigt. Einer entsprechenden statistischen Erhebung im August 1927 zufolge handelte es sich dabei um insgesamt zwölf Personen, die aus Österreich und der damaligen Tschechoslowakei in die Innstadt gekommen waren und hier unter anderem als Metzger Kassiererin, Dienstknecht oder Konditorlehrling ihren Unterhalt verdienten.

Wasserburg war nach wie vor stark durch die Landwirtschaft geprägt, ergänzt um einige mittelständische Gewerbe, wie die Brauereien, Ziegeleien und Handwerksbetriebe. Industrie und Großbetriebe fehlten dagegen weitgehend. Eine Übersicht über die Fabriken und Handwerksbetriebe im Bezirksamt Wasserburg für das Jahr 1919 führt auf: drei Steinmetze, einen Kreidefabrikanten, einen Zementfabrikanten, drei Hafner, einen Bürstenmacher, zwei Kupferschmieden, vier Zinngießer, drei Schlosserbetriebe, zwei Schmieden, einen Spengler, einen Mechaniker, einen Mühlenbauer, einen Wagner, ein Elektrizitätswerk, einen Ingenieur, einen Apotheker, einen Seifensieder, eine Seilerei, eine Buchbinderei, zwei Lederer, fünf Sattler, zwei Sägerei- und Mühlenbesitzer, sieben Schreinereien, zwei Schäffler, zehn Bäcker, drei Konditoren, zwei Käsereien, zehn Metzger, fünf Brauereinen, zwei Müller, eine Kleidermacherin, zwei Wäscherinnen, drei Färbereien, eine Modistin, drei Wäscherinnen und Kleidermacherinnen, eine Waschanstalt, acht Schneider, acht Schuhmacher, fünf Barber, einen Bauunternehmer, einen Architekten und Baumeister, zwei Zimmerermeister, drei Glasereien, zwei Maler, einen Kaminkehrer, zwei Buchdruckereien, zwei Fotografen, sechs Weinwirtschaften, zehn Gastwirtschaften und vier Handelsgärtnereien. Von den genannten Betrieben liefen die meisten noch auf „Handbetrieb“, einige nutzen Elektromotoren oder Dampfkraft.

Die Wasserburger Wirtschaft befand sich gewissermaßen in einem präindustriellen Zustand. Anders stellte sich zum Beispiel die Situation in Rosenheim dar, das sich zu einem wirtschaftlichen Zentrum entwickelt hatte, dank der Saline und der frühen Bahnanbindung an München. Die einstige Bedeutung der Stadt Wasserburg für Wirtschaft und Handel war dagegen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schrittweise verloren gegangen. Damit ging auch ein gewisser positiver Effekt einher. Der geringe Grad der Industrialisierung sorgte dafür, dass Massenproduktion und Großaufträge fehlten. Dadurch trafen die Folgen der beiden Wirtschaftskrisen den Wasserburger Bezirk im Vergleich zu stärker industrialisierten Regionen weniger hart, wobei hier zwischen den einzelnen Branchen unterschieden werden muss. Auch blieb so das mittelalterliche Stadtbild Wasserburgs vor baulichen Eingriffen verschont.

Auch der Einzelhandel in Wasserburg entfaltete sich, gerade im Vergleich zu Rosenheim, langsam und vorsichtig. Zur Wahrung seiner Interessen und zur Belebung der Wirtschaft waren nach dem Krieg zumindest zwei Vereinigungen entstanden. Am 6. Juli 1919 gründeten sich der „Kaufmännische Bezirksverein Wasserburg“ und im Herbst selben Jahres die „Freie Vereinigung der Kleinhändler Wasserburg“. Das defensivere Wachstum des Wasserburger Einzelhandels bescherte ihm dafür eine gewisse Krisenfestigkeit, während anderorts Händler aufgeben mussten.

Die Gründe für die fehlende gewerbliche und industrielle Entwicklung beziehungsweise die landwirtschaftlich geprägte Wirtschaftsstruktur von Wasserburg lagen unter anderem in der durch die Innschleife beengten Lage, die kaum Platz für Expansion oder Neuansiedlungen von Unternehmen bot, und im verspäteten Bahnanschluss. Erst 1902 erfolgte die direkte Anbindung der Stadt an das Eisenbahnnetz. Die Eisenbahn sorgte wiederum dafür, dass die einst so wichtige Innschifffahrt nun völlig an Wert verlor. Zumindest für den Fremdenverkehr hatten die veränderten Verkehrs- und Handelswege eine positive Wirkung. Wasserburg war nun zwar ein „stille[r] Platz“, aber „Erholungsbedürftige und Ausflügler finden das, was sie suchen, eine schöne Natur und eine schmucke Stadt, die ihnen gastliche Aufnahme gewährt.“ Der Besucherzustrom erhöhte sich im Laufe der 1920er Jahre und auch die Künstlerwelt entdeckte das „bayerische Venedig“, wie es der Heimatkalender des Jahres 1927 formuliert. Allerdings blieben die Fremdenübernachtungen auf einem bescheidenen Niveau.

Die angespannte wirtschaftliche und politische Lage der 1920er Jahre war immer wieder Thema bei öffentlichen Partei- und Diskussionsveranstaltungen in der Innstadt, wie am 10. Dezember 1922, als die Bayerische Volkspartei und der Christliche Bauernverein nachmittags zu einer Versammlung im Fletzingersaal eingeladen hatten. Es sprachen: der Landtagsabgeordnete Rothmeier über die politische Lage in Bayern und der Ökonomie-Rat Melchner über die wirtschaftliche Lage in Bayern. Knapp zwei Jahre später lud der Sozialdemokratische Verein zu einer öffentlichen Volksversammlung im Greinsaal ein. Thema: Gemeindewahlen und Wasserburgs wirtschaftliche Zukunft. Redner waren Dr. Gartenhof und Stadtrat Mühlbauer. Als sich 1928/29 wieder eine Wirtschaftskrise abzeichnete, wurde das Thema Wirtschaft politisch wieder stärker aufgegriffen. So veranstaltete die NSDAP im Januar 1931 im Gaßnersaal und ein Jahr später im Greinsaal einen Vortrag über den Krieg und die Revolution, sowie Inflation und Neureichtum beziehungsweise den Wirtschaftsaufbau im nationalsozialistischen Staat. Wenige Wochen später gab es eine Versammlung der Bayerischen Volkspartei im Fletzingerbräu. Der Abgeordnete Sebastian sprach über „Die politische und wirtschaftliche Lage“.

Gleichzeitig bewiesen Stadt, Privatleute, Unternehmer und Vereine bei vielen Gelegenheiten Hilfsbereitschaft und Engagement. So war noch während des Ersten Weltkriegs die Kinderspeisung als karitative Maßnahme eingerichtet worden. Doch die wirtschaftlichen Folgen ließen die Speisung zu einer dauerhaften Einrichtung werden, die nach Kriegsende fortbestand. Auch die Metzgerzunft spendete 1922 100.000 Mark, eingenommen bei ihrem Gartenfest, für die Stadtarmen und die Firma Hummelsheim zu Ostern 1924 1.500 Eier an Notleidende. Mitte Dezember 1930 hieß es zudem im Wasserburger Anzeiger: „Die Studenten des Städtischen Schülerheims St. Achaz beschlossen freiwillig mit 39 gegen 2 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung, das Roggenbrot einzuführen für die Dauer der großen wirtschaftlichen Not. Auf Kranke wird Rücksicht genommen. Zugleich überwiesen die Spieler des Nikolaustheaters von der Theatereinnahme 10 Reichsmark an die Kindersuppenspeisung, 10 Reichsmark an die Nähstube des Katholischen Frauenbundes für arme Kinder und 10 Reichsmark für die Stadtarmen als Weihnachtsgabe.“

„Ich war gezwungen … mich beim Bezirksamt als Stellen- und Arbeitslos zu melden“ –
Die Arbeitslosigkeit im Bezirksamt Wasserburg

Die Arbeitslosenzahl wuchs reichsweit nach Kriegsende rasch an, ging aber ab etwa Anfang 1920 wieder zurück. In den folgenden Jahren entwickelte sich die Arbeitslosigkeit schwankend, ehe die Zahlen ab etwa 1928 wieder deutlich anstiegen – ein erstes Indiz für den nahenden wirtschaftlichen Abschwung, noch bevor im Oktober 1929 die Spekulationsblase in den USA platzte. Ein Grund für die ansteigende Arbeitslosigkeit, gerade zu Jahresbeginn, war der strenge Winter 1928/29, der besonders die Baubranche hart traf. Bald herrschte Massenarbeitslosigkeit. 1932 gab es im Deutschen Reich über sechs Millionen Arbeitslose, in Bayern etwa 500.000.

In Wasserburg sorgte die allgemeine schlechte Geschäftslage Mitte der 1920er Jahre dafür, dass viele Betriebe ihren Personalstand reduzierten. Gleichzeitig wurde es für die Entlassenen immer schwerer, eine neue Beschäftigung zu finden. So schildert es zum Beispiel der ehemalige Vertreter Peter Koch, der mangels Anstellung dazu gezwungen war, sich beim „Bezirksamt als Stellen- und Arbeitslos zu melden“. Einige Arbeitslose wanderten daher ab und suchten ihr Glück in Nachbargemeinden. Das Amtsgericht Haag war dabei von der Abwanderung stärker betroffen als dessen Wasserburger Pendant. Genaue Arbeitslosenzahlen sind für Wasserburg mangels ausreichender Quellen schwierig zu ermitteln. Dennoch lässt sich für die zweite Hälfte der 1920er Jahre die grobe Entwicklung mithilfe der wenigen vorhandenen Statistiken erkennen. Nach Auswertung von Daten, die die Stadt im Rahmen von Befragungen zur Kinderspeisung 1926 und 1930 sowie zwecks Bewerbung für das sogenannte Gereke-Programm 1933 erhoben hatte, gab es im Jahr 1926 120 Erwerblose (2,7 Prozent der Bevölkerung) in Wasserburg. Im Dezember 1930 waren es 204 (4,6 Prozent) und im Februar 1933 218 (4,9 Prozent). Auch der Wasserburger Anzeiger nennt ab 1930 immer wieder sporadisch die Arbeitslosenzahlen für Wasserburg. Demnach waren es am 18. Februar 933 Personen, davon 831 Männer und 102 Frauen. Rund fünf Monate später hatte sich der Arbeitsmarkt etwas entspannt. Im Juli waren nur mehr 156 Männer und 14 Frauen arbeitslos, zusammen also 170 Personen. Ab Herbst stiegen die Arbeitslosenzahlen merklich an, und im Dezember wurden 643 männliche und 68 weibliche Arbeitslose gezählt. Im Mai 1931 berichtet der Wasserburger Anzeiger zwar von einem „Rückgang der Arbeitslosenziffer“, doch waren im Bezirk Wasserburg immer noch 412 Männer und 81 Frauen ohne Lohn und Brot. Eine echte Entspannung am Arbeitsmarkt trat erst nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten ein. Im November 1933 verkündet die Zeitung, dass der Wasserburger Bezirk als erster in Oberbayern „frei von Arbeitslosen“ sei.

Gerade im Vergleich zum Reich – 1926 18 Prozent, 1930 22,2 Prozent und 1932 43,7 Prozent Arbeitslosigkeit – zeigte sich der Wasserburger Arbeitsmarkt, trotz einiger Monate mit vorübergehend deutlich mehr Arbeitslosen, in diesen Jahren krisenfester. In der Baubranche konnte der Personalstand beinahe gehalten werden. Im Jahr 1933 lag dieser mit 478 Beschäftigten lediglich 5,5 Prozent unter dem Niveau von 1925 mit 506 Beschäftigten. Zum Vergleich: Bayernweit litt die Branche unter einem Beschäftigungsrückgang von 26 Prozent. Das Werk der Ziegelei Meindl konnte trotz der einbrechenden Konjunktur die Produktion anfangs aufrecht halten, musste schließlich aber den Personalstand auch zur Hochsaison sowie die Produktion reduzieren. Insgesamt arbeiteten schließlich 1933 in der Wasserburger Ziegeleiindustrie im Vergleich zu 1925 rund ein Viertel weniger Menschen. Diese Beispiele dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass im Bezirksamt Wasserburg die individuelle Gefahr einer Arbeitsplatzverlustes in außerlandwirtschaftlichen Berufen nicht sonderlich geringer war als in stärker industrialisierten Kommunen.

„Wo werden jetzt diese Arbeitslosen wieder ihr Unterkommen finden?“ – Die Landwirtschaft im Bezirksamt Wasserburg

Der präindustrielle Charakter der Wasserburger Wirtschaft spiegelt sich unter anderem im lange Zeit vergleichsweise hohen Anteil der hauptberuflich Erwerbstätigen in der Land- und Forstwirtschaft wider. Dieser blieb im Bezirksamt Wasserburg zwischen 1925 und 1933 quasi unverändert bei rund 58 Prozent und entsprach damit dem Wert von 1907. Ende des 19. Jahrhunderts waren es kaum mehr gewesen. 1895 lag der Anteil bei rund 60 Prozent. Zum Vergleich: Im gesamten Bayern reduzierte sich der Anteil in der Landwirtschaft von etwa 46 Prozent (1895) über 45 (1907) und 38 (1925) auf 31 Prozent (1933). In Altbayern war die Entwicklung ähnlich. Doch während über diesen Zeitraum hinweg bayernweit der Anteil der Erwerbstätigen in Industrie und Handwerk konstant bei etwa 28 Prozent lag, verdienten 1925 in Wasserburg lediglich 13,3 Prozent der Erwerbstätigen ihr Geld in diesem Bereich. Im Vergleich zu 1907 (13,8 Prozent) bedeutete dies kaum eine Veränderung.

Die Fläche des Bezirks Wasserburg von circa 200.000 Tagwerk, umgerechnet rund 68.000 Hektar, wurde in den 1920er Jahren zu etwa 70 Prozent für die landwirtschaftliche Erzeugung genutzt. „Von dieser Fläche sind ungefähr 90 000 Tagwerk [30.600 Hektar] Acker, 49 000 Tagwerk [17.000 Hektar] Wiesen und 1000 [340 Hektar] Tagwerk Weiden. Das Verhältnis der Acker zu Wiesen ist daher im Durchschnitt bei den meisten landwirtschaftlichen Betrieben 2 zu 1“, wie Landwirtschaftsrat Schneider in einem Überblick im Wasserburger Anzeiger zusammenfasst. Schneider gibt ferner Auskunft über die Nutzung der Fläche durch die insgesamt rund 4.500 Betriebe: „Die Äcker dienen in erster Linie zum Anbau von Hafer und Roggen, in kleinerem Abstand folgt dann Weizen, während der Gerstenanbau nur ein Achtel der Ackerfläche einnimmt. Ebenfalls ein Achtel der Ackerfläche dient dem Anbau von Kartoffeln und Rüben.“ Beim Feldfutterbau wurde vorwiegend auf Rotklee gesetzt. Schneider erwähnt auch, dass „auf einer ganz kleinen Fläche“ wieder Hopfen angebaut wurde.

Die knapp 4.500, vor allem klein- und mittelbäuerliche Betriebe im Bezirksamt Wasserburg setzen bei ihrer Arbeit fast ausschließlich auf menschliche und tierische Muskelkraft. 1925 stand ihnen nur ein einziger Traktor zur Verfügung. Vor allem der im Vergleich zum Pferd billigere Zugochse war der bevorzugte Helfer. Die Modernisierung beziehungsweise Mechanisierung der Landwirtschaft vollzog sich im Wasserburger Bezirk nur langsam.

Zudem hatten die Bauern mit sinkenden Erlösen für Vieh, Milch und Holz zu kämpfen. Beim Getreide sah es dank politischen Schutzmaßnahmen besser aus. Nicht wenige Landwirte mussten sich verschulden oder ihren Besitz verpfänden. Wenigstens gelang es den Wasserburger Bauern, die sinkenden Milchpreise durch neue Verwertungswege etwas auszugleichen. Der Milchviehbestand, der im Bezirk seit 1925 stetig wuchs, lieferte täglich circa 80.000 Liter Milch. Davon gingen 10.000 Liter an die Verbraucher vor Ort, etwa 5.000 Liter wurden nach München verkauft, 15.000 Liter flossen in die Butter- und Käseproduktion. Die übrigen knapp 50.000 Liter Milch blieben in den Betrieben und wurden zu Butterschmalz oder Landbutter verarbeitet. Im Januar 1931 organisierte eine Wasserburger Molkerei eine Sammelaktion für Rahm. Die Landwirte konnten ihre kleinen Rahmmengen per Lkw nach Wasserburg transportieren lassen und dadurch einen höheren Ertrag erzielen als es mit der herkömmlichen Milchverwertung möglich gewesen wäre. So erbrachte die Aktion den im Herbst 1931 teilnehmenden 50 Bauern einen monatlichen Zuverdienst von annähernd 4.000 Reichsmark.

Die Landwirte spürten auch rasch die Auswirkungen der Wirtschaftskrise von 1928/29. Der Absatz ging zurück, die Preise für land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse fielen weiter. Der Milchpreis lag zum Beispiel im Februar 1932 40 Prozent unter dem Niveau von vor 1914. Viele Bauern rutschten in die Überschuldung beziehungsweise benötigten finanzielle Unterstützung. Bayernweit stieg die Zahl der zwangsversteigerten landwirtschaftlichen Betriebe. Hinzu kamen die hohen staatlichen Abgaben. So mahnte Anfang 1929 der Ameranger Bürgermeister und Vorsitzende der Bezirksbauernkammer Wasserburg Maier in einem Beitrag für die Jubiläumsausgabe des Wasserburger Anzeiger: „Sollte es mit dem Satz seine Richtigkeit haben, daß alles historisch Geschehene durch die wirtschaftliche Entwicklung und die wirtschaftliche Struktur der Wirtschaft bedingt sei, dann müßte man daraus den Schluß ziehen, daß die Wirtschaft unseres Bezirkes, der doch zum größten Teil auf die Landwirtschaft aufgebaut ist, unter den heutigen Wirtschaftsbedingungen der Landwirtschaft nicht nur keine Entwicklungsmöglichkeit mehr hat, sondern allmählich zugrundegehen müßte, wenn nicht in allernächster Zeit unsere gesamte Gesetzgebung und Wirtschaftsordnung so umgestellt wird, daß sie den Lebensbedingungen der Landwirtschaft einigermaßen Rechnung trägt.“ Maier kritisierte vor allem die hohe finanzielle Belastung der Bauern durch Versicherungen und soziale Abgaben, fehlendes Barvermögen und hohe Zinsen sowie die geringen Preise, die die Produktionskosten kaum deckten. Bei der Lösung dieser Probleme sah er die Landwirtschaft von der Politik im Stich gelassen.

Viele Landwirte sahen sich daher gezwungen, ihre Knechte und Dienstboten zu entlassen und die anfallende Arbeit selbst beziehungsweise mithilfe von Familienmitgliedern zu erledigen. Auch lange Dienstverhältnisse wurden beendet. Daher waren etwa am „Blasitag“ 1932 auf dem „Schlenklmarkt“ in der Herrengasse „neben vielen jungen Knechten auch solche mit ergrauten Haaren“ zu sehen, wie der Wasserburger Anzeiger schreibt, weil die Bauern durch die „schwer aufbringbaren sozialen Lasten zum Wegschicken seiner [sic!] Dienstboten“ gezwungen waren. Doch sei das Angebot an Knechten groß und die Nachfrage nur gering, wozu auch der Lohnanspruch mit beitrüge. „Wo werden jetzt diese Arbeitslosen wieder ihr Unterkommen finden?“, heißt es in dem Artikel weiter, „Da wird es wohl eine Massenabwanderung vom Lande in die Stadt geben, was sehr zu bedauern ist.“ Tatsächlich hatte das „Überangebot“ an Arbeitskräften in den Jahren davor schon dazu geführt, dass landwirtschaftliche Dienstboten weniger verdienten, weil der Preis gedrückt werden konnte.

Anerkannte Bierindustrie und bekannte Spundfabrikation – Industrie, Mittelstand und Handwerk im Bezirksamt Wasserburg

Im Jahr 1925 existierten im Bezirksamt Wasserburg 1.209 Handwerks- und Industriebetriebe, die 3.083 Menschen beschäftigten. Dabei handelte es sich allerdings um vergleichsweise kleine Betriebsstätten wie etwa die Bau- und Kunstschlosserei von Hans Kronner am Albingerplatz. Denn während bayernweit die durchschnittliche Betriebsgröße bei 5,2 Personen lag, waren es in Wasserburg mit 2,5 weniger als halb so viele. In der Sparte Handel und Verkehr waren 711 Betriebe mit 1.338 Beschäftigten statistisch erfasst.

Mangels industrieller Betriebe nahm das arbeitsintensive und von Zulieferern abhängige Baugewerbe, zu dem beispielsweise verschiedene Zimmereien oder das Bauunternehmen Richterstetter in Reitmehring zählten, für Wasserburg eine wichtige Rolle ein. Kriegsbedingt war die Bautätigkeit in der Innstadt allerdings eingebrochen. Zu Beginn des Jahres 1919 deuteten erste Anzeichen scheinbar eine Erholung an. Der Wasserburger Anzeiger berichtet am 6. März über die wieder einsetzenden baulichen Tätigkeiten, jedoch mit einer Einschränkung: „Neubauten aufzuführen, dazu fehlt anbetrachts der Zeiten allerdings der Mut, aber innerhalb der Anwesen wird so manche längst geplante Veränderung vorgenommen.“ Private Umbauarbeiten begannen im gerade erworbenen Graf Schuster-Haus des Metzgermeisters Wiedmann, in der Lederei Lackenbauer des Herrn Mirring sowie im Obergeschoß der Gastwirtschaft Klöbl. Auch der Cafetier Heilmannseder zeigte sich arbeitsam und war daran, das „zu seinem Betrieb gehörige Gartenstück durch Pavillons und Sitzhallen zu einem anziehenden Aufenthalt zu machen.“ Außerdem erhöhten Herr Stecher im Weberzipfel und Herr Spinnrad in der Neustraße ihre jeweiligen Häuser um ein Stockwerk, und Gutsbesitzer Schnatzer in Schloss Hart konnte die baupolitische Erlaubnis zum Einbau von Wohnungen erwirken. Fahrradhändler Krämer spielte mit dem Gedanken, in Haag ein Wohnhaus zu errichten. Zudem beschäftigte sich der Stadtmagistrat mit einem Bebauungsplan.

Mit dem Bau von Wohnungen wollte der Magistrat nicht nur die herrschende Wohnungsnot lindern. Es ging auch darum, der Stadt in der Wirtschaftskrise wichtige Arbeitsplätze zu sichern. Knapp zwei Jahre später entstanden am Riedenerweg die ersten Häuser, im Jahr darauf im unteren Burgerfeld. Die große kommunale Bautätigkeit beschränkte sich allerdings weitgehend auf die erste Hälfte der 1920er Jahre. Der Stadtrat versucht auch über Umwege, die Wasserburger Bauwirtschaft zu unterstützen. So schrieb Bürgermeister Alfons Winter im Mai 1922 an den Münchner Architekten Huf, der den Ausbau des Dominikanerinnen-Klosters in Altenhohenau leitete. Das Wasserburger Stadtoberhaupt schrieb an den Architekten: „Es würde uns sehr freuen, wenn bei diesen Arbeiten auch das in Wasserburg ansässige Gewerbe berücksichtigt und mit tunlichst umfangreichen Aufträgen bedacht würde. Es bedarf keines besonderen Hinweises, dass gerade in kleineren Städten, die abseits vom grossen Verkehr gelegen sind, das Gewerbe durch den Krieg und seine Folgen weitaus mehr zu leiden hat als das in grossen Städten mit grösseren Auftragsmöglichkeiten oder auf dem Lande mit günstigeren Lebens- und Arbeitsverhältnissen.“

Als sich die Stadt angesichts wegbrechender Einnahmen bei gleichzeitig steigenden Ausgaben immer mehr zu Sparen gezwungen sah, stagnierte die Bautätigkeit bis 1933 auf einem bescheidenen Niveau. Zu groß waren die damit verbundenen finanziellen Herausforderungen. Angesichts der „derzeitigen ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse“ musste der Stadtrat Anfang Mai 1925 auch vorerst von den Plänen Abstand nehmen, ein städtisches Sägewerk zu errichten. „Eine spätere Ausführung könnte nur als Nebenbetrieb d. Stadtbauamtes in Frage kommen“, heißt es dazu in der Stadtratssitzung. Die Stadt besaß allerdings weiterhin eigene Versorgungsbetriebe. Dazu zählte etwa ein Torfwerk, mit dem öffentliche Gebäude mit günstigem Brennmaterial beliefert und Einnahmen generiert werden sollten. Doch Anfang der 1930er Jahre lief der Betrieb defizitär und diente gewissermaßen nur mehr als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.

Die Schriftleitung des Wasserburger Anzeigers wandte sich angesichts „des nahenden Weihnachtsfestes und der notorischen schlechten Wirtschaftslage des Mittelstandes und des Gewerbes“ Anfang Dezember 1930 an den Stadtrat. Die Redaktion schlug vor, „die Bevölkerung durch einen Aufruf auf die Notlage des Mittelstandes und der Geschäftswelt am Platze hinzuweisen und sie einzuladen, ihre Weihnachtseinkäufe doch ja am Platze zu bewerkstelligen.“ Eine Maßnahme, die auch in anderen Gemeinden durchgeführt wurde. Allerdings lehnte der Wasserburger Stadtrat dieses Ansinnen ab. Zum einen sei die Kundenwerbung eine Angelegenheit der Geschäftswelt und nicht der Stadtverwaltung. Zum anderen wurde auf den Widerspruch hingewiesen, dass im Wasserburger Anzeiger durch viele Inserate Münchner Firmen regelmäßig zum Warenkauf in der Landeshauptstadt eingeladen werde. „Auf diesen Widerspruch würden wir bei einem Aufruf zweifellos aus den Kreisen der Verbraucher hingewiesen werden. Wir halten es daher nach Lage der örtlichen Verhältnisse auch im Interesse des Gewerbes für zweckmässiger, einen solchen Widerspruch nicht hervorzurufen“, so Bürgermeister Winter in seinem Antwortschreiben.

Ein Indiz für die schwierige wirtschaftliche Lage in Wasserburg sind die Gewerbe An- und Abmeldungen. In den 1920er Jahren lag die Zahl der abgemeldeten Gewerbe in der Regel deutlich über den der angemeldeten. Erst Anfang der 1930er Jahre gab es mehr Anmeldungen als Abmeldungen, wobei letztere auf einem hohen Niveau blieben. Das Jahr mit den meisten gewerblichen Abmeldungen im untersuchten Zeitraum war 1923 mit 15, das mit den meisten Anmeldungen 1932 mit vierzehn. Unter den Gewerbetreibenden, die 1923 aufgeben mussten, waren unter anderem der Gastwirt Florian Freiberger sowie die Damenschneiderin Elis Kleinhuber. Zu den „Gewerbeanfängern“ des Jahres 1932 gehörten den Fahrradhändler Alois Hausböck und der Schuhmacher Xaver Zaglmann.

Die ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse machten sich bemerkbar. So musste der Münchner Textilfabrikant Hanns Hummelsheim seinen Betrieb in Wasserburg schließen. Der Stadtrat verkündete diesbezüglich im August 1925 in der Zeitung: „Unsere Stadt ist durch die wirtschaftliche Krise, die leider auch die ortsansässige Industrie in Lähmungszustand versetzte, vor unerwartete Sanierungsprobleme gestellt worden, deren Lösung sich aber mit ertragbaren Einbußen bereits vollzogen hat, teils vollzieht. Hieher [sic!] gehört, daß der Wasserburger Besitzteil der Fabrikationsfirma Hummelsheim von der Stadt übernommen wurde. Durch diesen Erwerb steht nun die Stadt vor der weiteren Aufgabe, ihren neuen Besitz möglichst günstig auszuwerten, was geschehen soll durch Gewinnung von Interessenten, welche den wohleingerichteten Betrieb erwerben und wieder ins Laufen bringen.“ In das Gebäude zog 1926 die fünf Jahre zuvor gegründete Landwirtschaftsschule.

Auch der Unternehmer und Gerbereimeister Hermann Mirring, der in Wasserburg ein Dampfsäge-, Spalt- und Hobelwerk samt Holzgroßhandlung betrieb, kam Mitte der 1920er Jahre in finanzielle Schwierigkeiten, weswegen über dessen Vermögen im Juni 1924 ein Konkursverfahren eingeleitet wurde und er sich gezwungen sah, seine Fabrik an die Bayerische Vereinsbank zu verkaufen. Die Bank veräußerte die Immobilie im März 1927 an die Stadt Wasserburg. Die Stadt vermietete das Fabrikgebäude dann im Herbst 1928 an die Spundfabrik E. Carbin. Die Sägewerke in der Umgebung wiederum beklagten 1930 mangelnde Abschlüsse, sodass einige von ihnen den Betrieb ganz oder teilweise einstellten.

Ein weiteres Schlaglicht auf die Situation der in und um Wasserburg angesiedelten Betriebe Mitte der 1920er Jahre geben eine Reihe von Anträgen auf staatliche Unterstützung beziehungsweise Notstandskredite aus dem Jahr 1924. Neben der wirtschaftlichen Situation brachten Hochwasser- und Sturmschäden – Ende April war eine heftige Windhose über Wasserburg gezogen und hatte schwere Schäden verursacht – aus dem Frühjahr viele Antragsteller an ihre finanziellen Grenzen, wie zum Beispiel den Fellhändler Martin Lackenbauer. Lackenbauer hatte sein Erspartes durch die Inflation verloren und das restliche Geld zur „Instandsetzung der durch den Sturm im April 1924 entstandenen Schäden“ verwenden müssen. Das Geschäft mit Häuten und Fellen lief schlecht und erbrachte kaum Einnahmen. Es wurde um ein verzinstes Darlehen von 2.000 Mark gebeten. Auch der „Kleingewerbetreibende“ Ludwig Mayer, der eine Schuhmacherwerkstätte besaß, sah sich durch die allgemeine wirtschaftliche Not nicht in der Lage, sein Geschäft finanziell zu stärken. „Der Verdienst aus dem Schuhmachergewerbe reicht manchmal nicht zur Bestreitung des notdürftigsten Lebensunterhaltes aus. Es ist ihm daher nicht möglich[,] sein Geschäft zu verbessern und seine Einnahmen zu vergrössern.“ Daher wurde ein Darlehen von 500 Mark zu einem Jahreszins von sechs Prozent erbeten.

Unter den Antragstellern fanden sich 1924 vor allem Wasserburger Handwerker – wie Bürstenmacher, Schäffler, Schneider, Schuhmacher oder Zimmermänner – und kleine Gewerbetreibende – zum Beispiel Fellhändler, Kramer oder der Besitzer eines Spezereiwarengeschäftes –, aber auch Witwen und Pensionäre, die versuchten, sich mit einem zusätzlichen Nebenverdienst über Wasser zu halten. Doch auch einkommensstärkere Wasserburger stellten einen Antrag auf finanzielle Unterstützung. Um 10.000 Mark, für den „Ankauf von Saatgetreide zur Ergänzung des Viehbestandes und zur Instandsetzung stark schadhafter Dächereien“, bat etwa der Brauereibesitzer Johann Baptist Meyer. „Die Erträgnisse aus der Gastwirtschaft und Oekonomie reichen im entferntesten nicht aus[,] die laufenden Kosten zu bestreiten. Das vorhandene Bargeld ist durch die Inflation vollständig aufgebraucht“, heißt es in seinem Antrag. In den meisten Fällen bescheinigte der Stadtrat Wasserburg den Antragstellern eine wirtschaftliche Existenzgefährdung und unterstützte den jeweiligen Antrag. Im Falle des Brauereibesitzers erkannte der Rat diese zwar nicht, doch er befürwortete den Antrag dennoch. Allerdings bedeutete die Unterstützung seitens des Wasserburger Stadtrats nicht automatisch eine Auszahlung des Darlehens in voller Höhe. Der Antrag lief zunächst über das Bezirksamt an die Regierung von Oberbayern, die letztlich auch anders entscheiden konnte oder einen Antrag mangels ausreichender Mittel vorübergehend ablehnen musste. Auch die Höhe des schlussendlich gewährten Kredits konnte geringer ausfallen.

Zu den größeren Industriebetrieben in Wasserburg und Umgebung zählten die Zementwarenfabrik von Johann Näbauer , das schon 1853 gegründete Dampfziegelwerk beziehungsweise Tonwerk F. P. Enzinger in Eiselfing oder die 1910 gegründete Brennerei und Likörfabrik von Otto Sigl. Der wichtigste Arbeitgeber für den Wasserburger Bezirk war Mitte der 1920er Jahre die Großziegelei Meindl in Isen, die rund 200 Menschen beschäftigte und das ganze Jahr über produzierte.

Einen wichtigen Wirtschaftszweig bildeten die diversen Brauereien in Wasserburg und im Umkreis, die den regionalen Bierbedarf deckten. Allerdings hatte sich deren Anzahl bis Mai 1923 binnen eines Vierteljahrhunderts von dreizehn auf drei reduziert, wie der Wasserburger Anzeiger etwas konsterniert feststellt. Übrig geblieben waren die Brauereien Greinbräu (die laut Werbung „Altrenommierte Brauerei mit Gasthof“), Bruckbräu, vormals Stechl und Meyer (die „Älteste Brauerei Wasserburg[s]“) und die Brauerei Fletzinger. Allerdings wurde noch im November 1923 die Wasserburger Genossenschaftsbrauerei („Trinkt nur Bier aus der Genossenschaftsbrauerei“) gegründet, die später die im Burgerfeld liegende Gastwirtschaft „Zum Klosterwirt“ übernahm. Die Bierhersteller hatten wegen Steuererhöhungen und nachlassender Kaufkraft mit einem sinkenden „Bierdurst“ zu kämpfen, allerdings lag der bayerische Bierkonsum weiterhin deutlich über dem reichsweiten Durchschnitt. Während die Bayern 1929 durchschnittlich 192,3 Liter und 1932 immerhin noch 122,9 Liter des „Volksgetränks“ tranken, sank der Verbrauch im Rest Deutschlands von 74,9 auf 41,8 Liter. Der Konsumrückgang war in der Regel nicht unbedingt existenzbedrohend, dennoch musste die Genossenschaftsbrauerei schon 1931 ihren Betrieb einstellen.

Weitere wichtige regionale Betriebe der Lebensmittelindustrie waren die Molkereien von Bauer und Meggle im Amtsgerichtsbezirk Wasserburg und von Jäger im Haager Amtsgerichtsbezirk, deren Ursprünge in das 19. Jahrhundert reichen. Erstere ging auf das 1887 von Franz Seraph Bauer gegründete Bauerschweizer-Käsewerk zurück. Sohn Josef Pankratius Bauer übernahm 1913 die Molkerei „Bauerschweizer“. Das im Stautner-Haus befindliche Geschäft ließ er im Januar 1925 umbauen, weswegen es in das Gimpl-Haus verlegt wurde. Josef Anton Meggle I. war 1877 aus dem Allgäu nach Oberbayern gezogen. Am 18. März 1887 meldete er sein Käse-Gewerbe in der Steuergemeinde Attel an und legte damit den Grundstein für das Familienunternehmen. Nach seinem plötzlichen Tod 1912 übernahm Sohn Josef Anton Meggle II. das Unternehmen. Unter ihm begann die systematische Elektrifizierung des Betriebs. Der Junior ließ Stromleitungen nach Reitmehring legen, wodurch der ganze Ort an die Stromversorgung angeschlossen wurde. Im Betrieb konnten nun Wasserpumpen und Zentrifugen elektrisch betrieben werden. Ein eigenes Kraftwerk, das entgegen einiger Widerstände errichtet wurde, belieferte Werk und Gemeinde mit Strom. Trotz der allgemein widrigen wirtschaftlichen Umstände wuchs der Betrieb erfolgreich weiter. 1929 entstand zudem das bekannte Meggle-Logo: ein blaues, dreiblättriges Kleeblatt. Auch der Haager Georg Jäger war ein Zugezogener. Aus Heiterwang in Tirol stammend, kam er 1868 nach Haag und gründete hier zwei Jahre später eine kleine Käserei. Georg Jäger junior war es dann, der 1920 die damalige Posthalterei mit Wirtschaftsgebäuden erwarb und so die Voraussetzungen für das Wachstum des Betriebs schuf. Wurden 1923 nur wenige hundert Liter Milch angeliefert, waren es sieben Jahre später etwa 3.000 Liter täglich. Die Bedeutung von Käsereien und Molkereien für Wasserburg unterstreicht die enge Bindung der Stadt an die Landwirtschaft.

Die Wasserburger Spundfabrikation zeigte sich trotz Wirtschaftskrise ebenfalls robust. So waren Ende der der 1920er Jahre zwei weitere Spundfabriken im Wasserburger Raum entstanden. Der Wasserburger Anzeiger berichtet im Januar 1932, dass die Stadt dadurch immer bekannter werde. „Nicht immer ist es Absicht, wenn an einem Orte zwei oder mehrere verwandte Industrien nebeneinander herlaufen. Außer der anerkannten Bierindustrie wird auch unsere Stadt immer mehr durch ihre Spundfabrikation bekannt.“ Ursprünglich war dies vor allem der 1900 gegründeten Mechanischen Holzwaren- und Faß-Spundfabrik E. Carbin zu verdanken, die sich zur „größten Spundfabrik Süddeutschlands“ entwickelt hatte und nicht nur Großbrauereien belieferte, sondern auch einen „stattlichen Auslandsexport“ aufwies. Deren Erfolg scheint Nachahmer motiviert zu haben. Um 1929 kamen die Firma Hagen in Bachmehring und 1931 die Spundfabrik von Kaspar Wiedemann am Bahnhof hinzu, der zuvor bei Carbin Werksmeister gewesen war.

Verheerende Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben – Der Einsturz der Innbrücke

Für die Stadt Wasserburg hatte die Kälte des strengen Winter 1928/29 noch weitreichendere Folgen: Sie sorgte für den Einsturz der Innbrücke Mitte März 1929. Der starke Druck des Eises hatte „das südliche Joch der hölzernen Innbrücke völlig zerschmettert, so daß die letztere, an dieser Stelle ihres Stützpunktes beraubt, nunmehr nach unten durchhängt und völlig unbenützbar geworden ist.“ Die „Rote Brücke“ sank in der Folge weiter ab. Die schwer beschädigte Brücke wurde gesperrt – mit Folgen. Dazu Bürgermeister Alfons Winter: „Auf das Wirtschaftsleben der Stadt wirkt die Absperrung der Brücke, die infolge des gefährlichen Zustandes derselben notwendig geworden war, geradezu verheerend. Von seinem am rechten Innufer gelegenen Einzugsgebiet abgeschnitten, ist Wasserburg seit 14 Tagen eine verödete Stadt. Kein Fuhrwerk, kein Kraftwagen, kein Personenverkehr aus dem Landstrich rechts des Inns belebt die Straßen. Die Landbevölkerung der näheren und weiteren Umgebung ist gezwungen, ihre Einkäufe fernab von Wasserburg vorzunehmen, oder bei Hausierern einzukaufen.“

Das damalige Stadtoberhaupt berichtet weiter: „Die Gemeinden rechts des Inns: Bachmehring, Penzing, Babensham, Aham, Freiham, Schönberg, Schambach, Kling, Loibersdorf, Griesstätt, Schonstett, Zillham, Evenhausen, Amerang, Kirchensur, Titlmoos, Wang, Grünthal, Elsbeht entbehren des Verkehrs mit der Bezirksstadt. Für die auf dem rechten Innufer gelegenen Stadtteile St. Achaz und Burgerfeld sowie für die Gewerbetreibenden und Landwirte der näheren Umgebung ist Verladestation für die ankommenden und abgehenden Güter größeren Umfangs nicht mehr Wasserburg, sondern das über zwölf Kilometer entfernte Amerang, an der Bahnlinie Endorf-Obing gelegen. Von dort oder dorthin müssen die Güter mit der Achse gebracht werden. Welche Verzögerungen und Mehraufwendungen dies für die davon Betroffenen bedeutet, bedarf keiner weiteren Schilderung. […] Betriebe, denen die Rohmaterialien nicht oder infolge des großen Umweges nur unverhältnismäßig verteuert zugeführt werden können, mußten Arbeiterentlassungen vornehmen, was angesichts des schlechten Arbeitsmarktes eine doppelt unerwünschte Begleiterscheinung der Abschnürung vom Verkehr bedeutet.“ Der Bezirkstagsvorsitzende Trifellner bezifferte den „täglichen Verdienstausfall“ der Wasserburger Geschäftswelt auf 2.000 Mark.

Bürgermeister und Stadtrat wandten sich an den Bayerischen Landtag und baten um rasche finanzielle Unterstützung für den Neubau einer Brücke. Diese sollte, im Gegensatz zur alten im Jahr 1853 errichteten Holzbrücke, von „fester Bauart“ und dem „neuzeitlichen Verkehr“ gewachsen sein. Die entsprechende Verbreiterung der Durchfahrt durch das Brucktor sei „technisch ohne Schwierigkeiten möglich. Die Herstellung von Gehsteigen seitlich des Tores für die Aufnahme des Fußgängerverkehrs würde von der Stadtgemeinde übernommen werden, ungeachtet der sehr erheblichen Kosten.“

Der Stadtrat rief zu einer Aussprache über die Brücke zusammen, an der neben Abgeordneten und Oberregierungsrat Petzold vom Straßen- und Flussbauamt Rosenheim auch „Vertreter hiesiger Wirtschaftsgruppen“ teilnahmen. Bei dem Treffen wurde der „Wille der Wasserburger Bevölkerung“ berücksichtigt, den Bau der neuen Brücke möglichst in einem Zug durchzuführen. Wenig später begann der Neubau der Brücke in „fester Bauart“. Erstmals wurden Stahl und Beton verbaut. Bis zur Fertigstellung wenige Monate später hielten Fährschiffe für Personen und Fuhrwerke notdürftig den Verkehr aufrecht. Schon am 4. August 1929 konnte die Wiedereröffnung der „Roten Brücke“ gefeiert.

Empfohlene Zitierweise:

Tobias Birken, Wirtschaft während der Weimarer Republik, publiziert am 06.06.2021 [=Tag der letzten Änderung(en) an dieser Seite]; in: Historisches Lexikon Wasserburg, URL: https://www.historisches-lexikon-wasserburg.de/Wirtschaft_w%C3%A4hrend_der_Weimarer_Republik (28.03.2024)
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