Unterbrechung der Hauptwasserleitung
Unterbrechung der Hauptwasserleitung beim Einsturz der Innbrücke 1929
Einführung
Der Artikel behandelt die Unterbrechung der Hauptwasserleitung der Stadt beim Einsturz der Innbrücke 1929, die angespannte Versorgungslage im Eiswinter 1928/1929 und die Einrichtung einer provisorischen Wasserleitung aus Feuerwehrschläuchen.
[Abb. 1 - Archivalie des Monats: Zeugnis des Stadtbauamtes Wasserburg für den Sailermeister Franz Koloseus, in dem die hervorragende Qualität der Schlauchleitungen bestätigt wurde, die 1929 für mehrere Monate die Wasserversorgung der Stadt Wasserburg sichergestellt hatten. StadtA Wasserburg a. Inn, II 1679 (= Wasserversorgung der Stadt Wasserburg, 1907-1951).]
Franz Koloseus aus Wasserburg und die von ihm vertriebenen Hanfschläuche der Marke Tabaria
Den mehrmonatigen Dauereinsatz schadlos überstanden. Einen besseren Qualitätsnachweis konnte sich Seilermeister Franz Koloseus aus Wasserburg für die von ihm vertriebenen Hanfschläuche der Marke Tabaria vermutlich gar nicht vorstellen. Entsprechend selbstbewusst trat er auch an die Stadt Wasserburg heran und bat um Bestätigung dieser außergewöhnlichen Leistung. Das Stadtbauamt entsprach seiner Bitte und stellte Ende Januar 1930 obiges Zeugnis über die hervorragende Qualität der verwendeten Schlauchleitungen aus. Diese hätten sich „in Bezug auf Dicht- u. Haltbarkeit über alle Erwartungen vorzüglich bewährt, so dass diese Qualität zur Verwendung bestens empfohlen werden kann.“[1]
Es versteht sich von selbst, dass Franz Koloseus dieses Gütesiegel auch sogleich an prominenter Stelle in die Werbebroschüre seines Spezialgeschäfts für Feuerlösch-Ausrüstungen aufnahm. In gewisser Weise zog er damit auch einen Schlussstrich unter eines der markantesten Kapitel der jüngeren Stadtgeschichte. Der Einsturz der Innbrücke im März 1929, der das Leben der Wasserburger Bevölkerung für einige Monate aus den gewohnten Bahnen geworfen hatte, war im Frühjahr 1930 wohl ausreichend überwunden, sodass Koloseus den Blick zurück auf die jüngste Katastrophe nun ganz pragmatisch dafür nutzte, zukünftige Geschäfte anzubahnen. Ob das Zeugnis des Wasserburger Stadtbauamtes ihm wirklich zu besseren Geschäften verhalf, geht aus den städtischen Akten nicht hervor. Es eröffnet jedoch eine interessante Perspektive darauf, in welch vielfältiger Weise sich der Einsturz der Innbrücke 1929 auf den Alltag in Wasserburg auswirkte.
Angespannte Versorgungslage im Eiswinter 1928/1929
In den ersten Monaten des Jahres 1929 herrschten in Bayern konstant niedrige Temperaturen von zum Teil weit unter -20 Grad, die selbst die großen Flüsse komplett gefrieren ließ. Der Inn war zeitweise auf einer Länge von etwa 70 Kilometern von einer geschlossenen Eisdecke bedeckt. In Wasserburg gefroren und barsten zahlreiche Wasserleitungen. Wie der Wasserburger Anzeiger im Februar und März mehrfach berichtete, waren manche Häuser für Wochen von der Wasserversorgung abgeschnitten.[2]
Diese Situation verschärfte sich zusätzlich, nachdem der Eisstoß auf dem Inn in Bewegung geraten war und die aufprallenden Eismassen am 9. März das äußerste Brückenjoch am rechten Flussufer weitgehend zerstört hatte. Die durchhängende Fahrbahn machte die Brücke für den Personenverkehr unbenutzbar und ließ eine der beiden Wasserleitungen abreißen, die unterhalb der Fußwege beidseits der Fahrbahn über die Brücke führten. Die Leitungen versorgten die Altstadt seit 1888 mit sauberem Quellwasser aus der Nähe von Evenhausen. Erst vier Jahre zuvor, im Juni 1925, war die alte hölzerne Leitung durch zwei neue gusseiserne Leitungen ersetzt worden.[3] Die Versorgung der Altstadt konnte nach dem Eisstoß zunächst auch mit nur einem Leitungsstrang weiter aufrechterhalten werden. Da sich die Brücke jedoch immer stärker absenkte, drohte jederzeit auch die verbliebene zweite Leitung zu reißen und die Stadtteile am linken Flußufer komplett von der Hauptleitung abzuschneiden.
[Abb. 2 - Aufnahme der durchhängenden Innbrücke, nachdem das letzte Joch am Südufer durch den Eisstoß beschädigt worden war. Rechts ist der noch intakte Strang der Wasserleitung zu erkennen. Kirmayer-Chronik, Anlage 732 zum Eintrag vom 21.3.1929.]
Angesichts dieser Gefahr, in der ohnehin angespannten Versorgungslage auch noch die wichtigste Wasserzufuhr zu verlieren, begannen in der Stadt eilige Vorbereitungen auf den Notfall. Beim Elektrizitätswerk wurde eine elektrische Grundwasserpumpe installiert und ans Leitungsnetz angeschlossen. Obwohl kurz zuvor entnommene Proben die gute Qualität des Grundwassers bestätigt hatten, mehrten sich jedoch schon bald Zweifel, ob das Grundwasser wirklich geeignet sei, um die Bevölkerung mit Trinkwasser zu versorgen. Am 27. März warnte der Wasserburger Anzeiger unter dem Titel „Um die Wasserversorgung in unserer Stadt“ eindringlich vor den „Kloakenpfützen“ am Innufer mit ihrem „pestilenzialischen Gestank und ihrem ekligen Verwesungsschimmer“, aus denen „Verwesungsstoffe“ ins Grundwasser sickern könnten.[4] Das Risiko, die Bevölkerung im Fall der Fälle wirklich dieser potentiellen Gefahr auszusetzen, sollte die Stadt nach Meinung der Zeitung lieber nicht eingehen und entsprechende Vorsorge treffen, falls auch noch die zweite Leitung über die Brücke reißen sollte.
Notleitung aus Feuerwehrschläuchen
Als mögliche Lösung nannte der Wasserburger Anzeiger dann sogleich auch die Option, ein Seil über die beschädigte Brücke zu spannen und die verbliebene Wasserleitung daran aufzuhängen. „Vielleicht noch besser, weil bruchsicherer, wäre die Überbrückung der Gefahrstrecke durch Feuerwehrschläuche, die natürlich ebenfalls aufzuhängen wären, unterfangen von Dachrinnen oder Rohrstücken.“[5] Es mutet wie eine Fügung des Schicksals an, dass die Zeitung diesen Vorschlag nur wenige Stunden vor dem endgültigen Kollaps der Innbrücke publizierte. In der Nacht vom 27. auf den 28. März gab der durchhängende Teil der Fahrbahn nach und stürzte in den Inn. Er riss dabei auch die verbliebene Wasserleitung mit sich. Noch in der Nacht des Einsturzes seien daraufhin Feuerwehrschläuche über den Inn gespannt worden, um die Altstadt weiterhin mit sauberem Quellwasser versorgen zu können. So berichtete es zumindest der Wasserburger Anzeiger.[6] In einer Eingabe der Stadt Wasserburg an den Bayerischen Landtag ist hingegen vermerkt, dass der zweite Leitungsstrang über die Brücke bereits am 22. März gerissen und durch eine Schlauchleitung ersetzt worden sei. Diese Behelfskonstruktion reiche jedoch auch mit Unterstützung durch die Grundwasserpumpe kaum aus, um die „Gebäudlichkeiten im höher gelegenen Stadtteil […] darunter die Staatserziehungsanstalt, das Bezirksamt, das Amtsgerichtsgefängnis und das Messungsamt“ zuverlässig mit Wasser zu versorgen.[7]Es muss an dieser Stelle offen bleiben, ob die Stadtverwaltung oder der Wasserburger Anzeiger das richtige Datum für das Abreißen der zweiten Wasserleitung nannten. Unstrittig dürfte hingegen sein, dass als Ersatz sofort eine Schlauchleitung über den Inn gelegt wurde, um die Altstadt zumindest teilweise weiter mit Quellwasser versorgen zu können. Die zunächst provisorische Konstruktion wurde in den kommenden Wochen durch ein Drahtseil verstärkt, das auf einer Länge von 140 Metern über den Inn gespannt wurde. Unterhalb des Drahtseils waren Schlaufen angebracht, in denen nebeneinander vier Schlauchleitungen lagen. Auf diese Weise scheint eine ausreichende Wasserversorgung der Stadtteile am linken Innufer möglich gewesen zu sein, da sich in den Quellen keine weiteren Hinweise auf Wassermangel finden.
[Abb. 3 - Ausschnitte aus der Werbebroschüre von Franz Koloseus. Auf der Titelseite ist die Behelfsleitung aus vier Feuerwehrschläuchen zu erkennen, die an einem Drahtseil über den Inn gespannt wurde. Auf der Rückseite sind Passagen aus dem Zeugnis des Stadtbauamtes Wasserburg und der Berichterstattung des Wasserburger Anzeigers zur Qualität der Behelfsleitung abgedruckt. StadtA Wasserburg a. Inn, VI 3937 (= Sammlung zur Stadtgeschichte Wasserburgs von Johann Reger, 1899-1985).]
Die provisorische Wasserleitung aus Feuerwehrschläuchen blieb über mehrere Monate rund um die Uhr im Einsatz. Da sich die Konstruktion als leistungsfähig erwies, nutzte die Stadtverwaltung den Brückenneubau auch gleich dazu, die Rohrleitungen über die Brücke grundlegend zu modernisieren und an veränderte Anforderungen anzupassen. So wurde nicht nur ein größeren Leitungsdurchmesser eingeplant, sondern auch ein Hydrant auf der Brücke, um Brände zukünftig auch von der Flussseite aus bekämpfen zu können. Zudem sollten die Rohre mit Korksteinschalen isoliert werden, [8]. Am 6. Juli 1929 konnte schließlich der erste Teil der neuen Wasserleitung über die Innbrücke in Betrieb genommen werden, woraufhin die nun überflüssig gewordene Notleitung aus Feuerwehrschläuchen zügig abgebaut wurde. In den Augen des Wasserburger Anzeigers hatte die Behelfskonstruktion „wirklich gute Dienste getan und mehr geleistet, als selbst die Schlauchfabrik zuzusichern sich getraute“.[9] Wie das Zeugnis des Stadtbauamtes für Franz Koloseus zeigt, stand der Wasserburger Anzeiger mit dieser Meinung nicht allein.
Johannes Böhm
- ↑ Zeugnis des Stadtbauamtes für Seilermeister Franz Koloseus, 31.1.1930, StadtA Wasserburg a. Inn, II1679.
- ↑ Vgl. bspw. Wasserburger Anzeiger, 20.2.1929, Titelseite und Wasserburger Anzeiger, 7.3.1929, Titelseite.
- ↑ Vgl. Rink, Wasserburger Baugeschichten, 38.
- ↑ Wasserburger Anzeiger, 27.3.1929, Titelseite.
- ↑ Wasserburger Anzeiger, 27.3.1929, Titelseite.
- ↑ Vgl. Wasserburger Anzeiger, 29./30.3.1929, Titelseite.
- ↑ Eingabe des Stadtrats Wasserburg a. Inn an den Bayerischen Landtag, 22.3.1929, BayHStA, Landtag 14177.
- ↑ Vgl. StadtA Wasserburg a. Inn, II 1679 (= Wasserversorgung der Stadt Wasserburg, 1907-1951)./ Wasserburger Anzeiger, 13.6.1929, Titelseite.
- ↑ Wasserburger Anzeiger, 9.7.1929, Titelseite.