Haberfeldtreiben: Unterschied zwischen den Versionen

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(Haberfeldtreiben hundert Jahre später)
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Diese ''Gefahr'' von außen bewirkt den engeren Zusammenschluss im Innern. Die Aktivitäten werden geheim vorbereitet und  mit einer ortsübergreifenden Organisation durchgeführt. Erstmals tritt der ''Haberfeldmeister'' in Erscheinung, der in einem Vers unter falschem Namen aufgerufen wird. Die Teilnehmerzahl hat sich erheblich vergrößert, die Teilnehmer rekrutieren sich nicht mehr wie früher aus dem Ort des Treibens, sondern marschieren von weiter her an, um keinen Ortsansässigen in Verdacht zu bringen. Das Treibgebiet weitet sich  über die bisherigen Grenzen, die in etwa dem Mangfallbogen entsprechen, aus, wohl auch, weil im ''Stammland'' die polizeilichen Verfolgung die Treiben wenn nicht verhinderte, so doch erschwerte. So findet im Juli 1834 erstmals ein Treiben im Landgerichtsbezirk Ebersberg, in Hohenthann statt. Die Teilnehmer kommen allerdings überwiegend aus der Aiblinger Gegend.<br>
 
Diese ''Gefahr'' von außen bewirkt den engeren Zusammenschluss im Innern. Die Aktivitäten werden geheim vorbereitet und  mit einer ortsübergreifenden Organisation durchgeführt. Erstmals tritt der ''Haberfeldmeister'' in Erscheinung, der in einem Vers unter falschem Namen aufgerufen wird. Die Teilnehmerzahl hat sich erheblich vergrößert, die Teilnehmer rekrutieren sich nicht mehr wie früher aus dem Ort des Treibens, sondern marschieren von weiter her an, um keinen Ortsansässigen in Verdacht zu bringen. Das Treibgebiet weitet sich  über die bisherigen Grenzen, die in etwa dem Mangfallbogen entsprechen, aus, wohl auch, weil im ''Stammland'' die polizeilichen Verfolgung die Treiben wenn nicht verhinderte, so doch erschwerte. So findet im Juli 1834 erstmals ein Treiben im Landgerichtsbezirk Ebersberg, in Hohenthann statt. Die Teilnehmer kommen allerdings überwiegend aus der Aiblinger Gegend.<br>
 
König Ludwig I. gibt seine wohlwollende Haltung gegenüber den Haberfeldtreibern auf, verbietet mit Erlass vom 31. Juli 1834 den ''Exzess'' und droht den Gemeinden mit Einlagerung von Militär. Die königliche Regierung ordnete 1834 auch Militärexekutionen an, d.h. die Gemeinden mussten für die Einquartierung von 22 Soldaten über einen Zeitraum von 3 Monaten aufkommen.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#StAM, AR 2749a/3|StAM, AR 2749a/3]].</ref> Das zeigte Wirkung: 5 Jahre gab es keine Treiben mehr.<br>
 
König Ludwig I. gibt seine wohlwollende Haltung gegenüber den Haberfeldtreibern auf, verbietet mit Erlass vom 31. Juli 1834 den ''Exzess'' und droht den Gemeinden mit Einlagerung von Militär. Die königliche Regierung ordnete 1834 auch Militärexekutionen an, d.h. die Gemeinden mussten für die Einquartierung von 22 Soldaten über einen Zeitraum von 3 Monaten aufkommen.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#StAM, AR 2749a/3|StAM, AR 2749a/3]].</ref> Das zeigte Wirkung: 5 Jahre gab es keine Treiben mehr.<br>
Eine weitere einschneidende Veränderung ist, dass bei einem Treiben mehrere Personen beschuldigt werden. Als Folge davon wird (auch aus Sicherheitsgründen) nicht mehr vor dem Haus, sondern am Ortsrand getrieben. Auch richteten sich die Vorwürfe nicht mehr nur gegen eine weibliche Person, sondern zunehmend gegen mehrere und vor allem gegen Männer und es ging auch nicht mehr nur um sexuelle Verfehlungen. So wurde das Treiben mehr „Ortsangelegenheit“ als ein  „Gericht“ gegen eine Einzelperson (1845 in Litzldorf wird erstmals in einem Polizei-Protokoll der Kaiser Karl erwähnt. Allerdings berichtet bereits Schmeller (4) 1837 im Bd.4 S.26: „Sie fahren wieder heim, so hört man wol sagen, zu ihrem Herrn, dem Kaiser Karl im Untersberg.Die Herleitung des Auftrags zum Haberfeldtreiben vom Kaiser Karl ist jedenfalls erst in dieser Zeit nachweisbar).
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Eine weitere einschneidende Veränderung ist, dass bei einem Treiben mehrere Personen beschuldigt werden. Als Folge davon wird (auch aus Sicherheitsgründen) nicht mehr vor dem Haus, sondern am Ortsrand getrieben. Auch richteten sich die Vorwürfe nicht mehr nur gegen eine weibliche Person, sondern zunehmend gegen mehrere und vor allem gegen Männer und es ging auch nicht mehr nur um sexuelle Verfehlungen. So wurde das Treiben mehr ''Ortsangelegenheit'' als ein  ''Gericht'' gegen eine Einzelperson (1845 in Litzldorf wird erstmals in einem Polizei-Protokoll der Kaiser Karl erwähnt. Allerdings berichtet bereits <ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Schmeller, Bayerisches Wörterbuch|Schmeller, Bayerisches Wörterbuch]], 26.</ref>: ''Sie fahren wieder heim, so hört man wol sagen, zu ihrem Herrn, dem Kaiser Karl im Untersberg.'' Die Herleitung des Auftrags zum Haberfeldtreiben vom Kaiser Karl ist jedenfalls erst in dieser Zeit nachweisbar).<br>
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1848 erging ein allgemeiner Erlass an die Pfarrer und Kaplane der Gegend, bei den Treiben die Kirchenglocken zu läuten. Die Haberfeldtreiber verstopften daher vor den Treiben die Schlösser der Kirchen und Kirchtürme mit Lehm, Sand oder Werg. Dies war in vielen Fällen das einzige, aber zuverlässige Anzeichen dafür, dass ein Treiben beabsichtigt, aber kurzfristig abgesagt wurde.<br>
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Die Haberfeldtreiber waren keineswegs die verschworene Gemeinschaft, als die sie in der zeitgenössischen Literatur und Presse dargestellt werden. Immer wieder drangen Informationen an Polizei und Gerichte durch, sagten Teilnehmer gegen andere Teilnehmer aus. Auch die Behauptung, sie würden niemandem etwas zu Leide tun, lässt sich nicht aufrecht erhalten; es gab immer wieder durch Schüsse verletzte Zuschauer.<br>
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Ab 1845 treten sie militärisch auf und tragen meist einheitlich Gebirgler-Tracht, d.h. Loden-Joppen und Stopselhüte. Mit geschwärzten Gesichtern und Wergbärten zur Tarnung, wie es auch bei den Wilderer Praxis war, treten sie allerdings schon ab 1766 auf. Wenn früher berichtet wurde, dass die Treiber ''wie aus dem Boden gewachsen'' am Treibort erschienen, so ziehen sie jetzt lärmend und zum Teil mit Musik in ''militärischer Ordnung zu zwei Gliedern'' an und ab. Dem Trupp voraus gehen zwei Späher, die bei größerem Polizeiaufgebot Alarm schlagen sollen.
  
 
=Die ersten Haberfeldtreiben im oder am Rande des Landgerichtsbezirk Wasserburg ab 1834=
 
=Die ersten Haberfeldtreiben im oder am Rande des Landgerichtsbezirk Wasserburg ab 1834=

Version vom 10. März 2020, 13:40 Uhr

Autor: Elmar Schieder


Die Haberfeldtreiben im Landgerichtsbezirk Wasserburg

Unter Haberfeldtreiben versteht man einen Spott- oder Rügebrauch im Gebiet zwischen Isar und Inn. Von einem harmlosen katzenmusikähnlichen Spott-Aufzug zu Beginn des 18. Jahrhunderts hat er sich zu einem kriminelle und geheimbündlerische Züge annehmenden Rügegericht gewandelt. Durch Literatur und Kunst idealisiert, wurde er im Nationalsozialismus als Beispiel hochstehenden germanischen Sittengefühls missdeutet. Ab dem 19. Jahrhundert bildeten die Haberer einen militärisch organisierten Geheimbund, um bei der Abhaltung ihrer nächtlichen Exzesse der behördlichen und polizeilichen Verfolgung zu entgehen. Als aber ab 1892 mehrere Mitglieder aus Gefallsucht oder aus Rache ihr Schweigen brachen, wurden über 100 von ihnen gefasst und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Mindestens ebenso viele flohen vor der Verfolgung mit ihren Familien nach Nord- oder Südamerika. Die Bedeutung und Herkunft des Ausdrucks Haberfeldtreiben ist nicht eindeutig geklärt. Schmeller verweist auf Hans Sachs, bei dem der Ausdruck jemand auf die Haberwaid schlagen mit der Bedeutung jemanden sitzen lassen, einen Korb geben zu finden ist. Ursprünglich war das Opfer einer solchen Katzenmusik eine sitzen gelassene schwangere Bauerntochter. Es könnte also durchaus sein, dass man diesen Vorgang, dass eine Frau, die von ihrem Liebhaber ins oder aufs Haberfeld getrieben wurde, öffentlich machte und ihn ebenso bezeichnete.

Erste Beschreibung eines Haberfeldtreibens 1716

Die erste, urkundlich belegte Information über das Haberfeldtreiben enthält ein Protokoll des Hofmarksgerichts Fagen vom 22.12.1716:[1]
Hannß Steindl Kistler zu Fagn clagt Casparn Kolb Mezgern und Mathiaßen Holzer beide von Fagn dieselbe haben sambt mehr and. cons. am verwichen Herbst nit allein sein clegers tochter zum spot in das sogenante haber veld getriben, das ist mit allerhand iniuriosen, geschray, schnalzen und stain werfen sambt and. Rumorereyen veriebet, sondern auch ihmbe Cleger sein Holzschupfen eingerissen und ihm dardurch wenigstens pt:1 fl 30 k: schaden verursacht, umb dessen guetmachung er gehorsambst bittet, der straff nit massgebent.
Die Beschuldigten antworten, sie wüßten nichts vom Einreissen eines Schupfen, geben aber freimütig die Namen aller Beteiligten an, soweit sie diese in der Dunkelheit erkannt hatten. weillen aber solches haaber Veld treiben umb diese gegend sehr gebreichig, und durch solche possen niemand nichts proiudicirt würdt, dessen hoffen sye hierdurch nichts verworcht zuhaben, sondern bitten umb absolution. In den Briefprotokollen des Hofmarkgerichts Vagen von 1642-1802 findet sich zwar kein weiterer Eintrag über ein Treiben, aufgrund der Aussagen der Beschuldigten darf man aber annehmen, dass solche Possen in der Gegend des Mangfallbogens öfters verübt wurden.

Haberfeldtreiben hundert Jahre später

Im Landgerichtsbezirk Wasserburg läßt sich das Haberfeldtreiben erst über 100 Jahre später nachweisen. Allerdings hat es sich bis dahin entscheidend verändert. Ursprünglich galt es, (siehe oben) einem unverheirateten - vielleicht auch noch besonders stolzem - Mädchen, das ein Kind bekam oder bekommen hatte. Die Burschen und Männer aus seiner Nachbarschaft und näheren Umgebung verabredeten sich und zogen bei Nacht vor das Haus des Opfers, weckten es und veranstalteten fürchterlichen Lärm. Man kann - mit einem Fragezeichen versehen - die Darstellung noch erweitern: Den Lärm unterbrachen sie mehrmals, um Verse vorzulesen, die das Vergehen anprangerten. Spätestens ab 1824 gehen die Bezirksämter und die Gendarmerie gegen die Haberfeldtreiber vor. Nach einem Treiben in Maxhofen 1834 werden einige Teilnehmer aufgegriffen, die wiederum Namen von anderen Anwesenden verraten. Daraufhin verurteilt das Landgericht Wolfratshausen 43 Personen zu Arreststrafen und 32 zu Rutenhieben.[2]
Diese Gefahr von außen bewirkt den engeren Zusammenschluss im Innern. Die Aktivitäten werden geheim vorbereitet und mit einer ortsübergreifenden Organisation durchgeführt. Erstmals tritt der Haberfeldmeister in Erscheinung, der in einem Vers unter falschem Namen aufgerufen wird. Die Teilnehmerzahl hat sich erheblich vergrößert, die Teilnehmer rekrutieren sich nicht mehr wie früher aus dem Ort des Treibens, sondern marschieren von weiter her an, um keinen Ortsansässigen in Verdacht zu bringen. Das Treibgebiet weitet sich über die bisherigen Grenzen, die in etwa dem Mangfallbogen entsprechen, aus, wohl auch, weil im Stammland die polizeilichen Verfolgung die Treiben wenn nicht verhinderte, so doch erschwerte. So findet im Juli 1834 erstmals ein Treiben im Landgerichtsbezirk Ebersberg, in Hohenthann statt. Die Teilnehmer kommen allerdings überwiegend aus der Aiblinger Gegend.
König Ludwig I. gibt seine wohlwollende Haltung gegenüber den Haberfeldtreibern auf, verbietet mit Erlass vom 31. Juli 1834 den Exzess und droht den Gemeinden mit Einlagerung von Militär. Die königliche Regierung ordnete 1834 auch Militärexekutionen an, d.h. die Gemeinden mussten für die Einquartierung von 22 Soldaten über einen Zeitraum von 3 Monaten aufkommen.[3] Das zeigte Wirkung: 5 Jahre gab es keine Treiben mehr.
Eine weitere einschneidende Veränderung ist, dass bei einem Treiben mehrere Personen beschuldigt werden. Als Folge davon wird (auch aus Sicherheitsgründen) nicht mehr vor dem Haus, sondern am Ortsrand getrieben. Auch richteten sich die Vorwürfe nicht mehr nur gegen eine weibliche Person, sondern zunehmend gegen mehrere und vor allem gegen Männer und es ging auch nicht mehr nur um sexuelle Verfehlungen. So wurde das Treiben mehr Ortsangelegenheit als ein Gericht gegen eine Einzelperson (1845 in Litzldorf wird erstmals in einem Polizei-Protokoll der Kaiser Karl erwähnt. Allerdings berichtet bereits [4]: Sie fahren wieder heim, so hört man wol sagen, zu ihrem Herrn, dem Kaiser Karl im Untersberg. Die Herleitung des Auftrags zum Haberfeldtreiben vom Kaiser Karl ist jedenfalls erst in dieser Zeit nachweisbar).
1848 erging ein allgemeiner Erlass an die Pfarrer und Kaplane der Gegend, bei den Treiben die Kirchenglocken zu läuten. Die Haberfeldtreiber verstopften daher vor den Treiben die Schlösser der Kirchen und Kirchtürme mit Lehm, Sand oder Werg. Dies war in vielen Fällen das einzige, aber zuverlässige Anzeichen dafür, dass ein Treiben beabsichtigt, aber kurzfristig abgesagt wurde.
Die Haberfeldtreiber waren keineswegs die verschworene Gemeinschaft, als die sie in der zeitgenössischen Literatur und Presse dargestellt werden. Immer wieder drangen Informationen an Polizei und Gerichte durch, sagten Teilnehmer gegen andere Teilnehmer aus. Auch die Behauptung, sie würden niemandem etwas zu Leide tun, lässt sich nicht aufrecht erhalten; es gab immer wieder durch Schüsse verletzte Zuschauer.
Ab 1845 treten sie militärisch auf und tragen meist einheitlich Gebirgler-Tracht, d.h. Loden-Joppen und Stopselhüte. Mit geschwärzten Gesichtern und Wergbärten zur Tarnung, wie es auch bei den Wilderer Praxis war, treten sie allerdings schon ab 1766 auf. Wenn früher berichtet wurde, dass die Treiber wie aus dem Boden gewachsen am Treibort erschienen, so ziehen sie jetzt lärmend und zum Teil mit Musik in militärischer Ordnung zu zwei Gliedern an und ab. Dem Trupp voraus gehen zwei Späher, die bei größerem Polizeiaufgebot Alarm schlagen sollen.

Die ersten Haberfeldtreiben im oder am Rande des Landgerichtsbezirk Wasserburg ab 1834

Rott am Inn 17_/18.10.1846

Prutting 8./9.12.1850

Rott 10./11. 11.1864

Albaching LG Haag, BezA. Wasserburg 6./7.12.1864

Schechen 30.9./1.10. 1865

Edling 17./18.11.1865

Rosenheim- Versuch eines Haberfeldtreibens 2./3.12.1865

Hohenlinden, BezA Ebersberg, BezA Wasserburg 13./14.1.1866

Griesstädt 17./18.1.1866

Bruckhof 7./8.2.1866

Hintsberg bei Steinhöring 15./16.2.1866

Wasserburg, Februar 1866

Evenhausen, 23./24.2.1866

Kraiss, Gde. Steinhöring, 5./6.4.1866

Versuchtes Haberfeldtreiben in Rosenheim 29.10.1866

Söchtenau Bez.Amt Rosenheim 14./15.2.1867

Die Haberfeldtreiben von 1864 bis 1867

Die Haberfeldtreiben von 1893 bis 1905

Verhaftungswelle 1896

Letzte Treiben 1901 bis 1905

Zusammenfassung des Wandels des Erscheinungsbildes

Woher kommt der Ausdruck Haberfeldtreiben oder ins Haberfeld treiben

Heimat des Haberfeldtreibens

Haberer heute

Literatur (Auswahl)