Reihen und Abtritte: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Historisches Lexikon Wasserburg
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Bevor Ende des 19. Jahrhunderts damit begonnen worden ist, ein leistungsfähiges System von Abwasserkanälen für die gesamte Altstadt zu installieren, hatte es zur Mitte des Jahrhunderts nur vier einzelne Kanalstränge gegeben. Diese entwässerten jeweils einzelne Straßenzüge und leiteten deren Abwasser dem Inn zu. Diese frühen Kanäle wiesen undichte Sohlen und Wände auf. Abwasser konnte daher austreten und den Boden unter der Altstadt verunreinigen. Für die übrigen Stadtbereiche, die Mitte des 19. Jahrhunderts noch gar nicht an den Kanal angeschlossen waren, gab es zwischen den Außenmauern der Altstadthäuser eine enge Reihe mit einer Breite bis zu zwei Metern. In solchen befanden sich auf Straßenniveau Gruben, in welche sämtliche Hausabwässer eingeleitet worden sind. Jedoch funktionierte die notwendige Entleerung der Gruben nicht immer. Es konnte sein, dass Versitzgruben überliefen und ihren Inhalt den offenen Rinnen mitteilten, welche der Straßenentwässerung zu dienen hatten. Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Unrats ist im Boden versickert. Wo die damals dürftigen Abwasserkanäle nicht hinreichten und wo auch Gruben, Tonnen oder Auffangkübel nicht vorhanden gewesen sind, wurde das Abwasser ohnehin über offene Rinnen entsorgt.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Scheidacher, Geschichte der städtischen Versorgungsbetriebe Wasserburg|Scheidacher, Geschichte der städtischen Versorgungsbetriebe Wasserburg.]]</ref>
 
Bevor Ende des 19. Jahrhunderts damit begonnen worden ist, ein leistungsfähiges System von Abwasserkanälen für die gesamte Altstadt zu installieren, hatte es zur Mitte des Jahrhunderts nur vier einzelne Kanalstränge gegeben. Diese entwässerten jeweils einzelne Straßenzüge und leiteten deren Abwasser dem Inn zu. Diese frühen Kanäle wiesen undichte Sohlen und Wände auf. Abwasser konnte daher austreten und den Boden unter der Altstadt verunreinigen. Für die übrigen Stadtbereiche, die Mitte des 19. Jahrhunderts noch gar nicht an den Kanal angeschlossen waren, gab es zwischen den Außenmauern der Altstadthäuser eine enge Reihe mit einer Breite bis zu zwei Metern. In solchen befanden sich auf Straßenniveau Gruben, in welche sämtliche Hausabwässer eingeleitet worden sind. Jedoch funktionierte die notwendige Entleerung der Gruben nicht immer. Es konnte sein, dass Versitzgruben überliefen und ihren Inhalt den offenen Rinnen mitteilten, welche der Straßenentwässerung zu dienen hatten. Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Unrats ist im Boden versickert. Wo die damals dürftigen Abwasserkanäle nicht hinreichten und wo auch Gruben, Tonnen oder Auffangkübel nicht vorhanden gewesen sind, wurde das Abwasser ohnehin über offene Rinnen entsorgt.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Scheidacher, Geschichte der städtischen Versorgungsbetriebe Wasserburg|Scheidacher, Geschichte der städtischen Versorgungsbetriebe Wasserburg.]]</ref>
  
Aus mehreren Verfügungen des Bezirksamtes Wasserburg der 1860er Jahre wird in diesem Zusammenhang deutlich, dass der Staat die Umsetzung seiner Vorgaben zur ''Gesundheits- und Reinlichkeitspolizei'' gegenüber dem Magistrat einfordern musste. Des Öfteren wird die Stadt Wasserburg in diesen Jahren ''erinnert'', die Straßenreinigung regelmäßig durchzuführen und den ''Unrath'' von den Straßen zu entfernen.<ref>StadtA Wasserburg a. Inn, II1182 (=II. Alte Registratur, Akten, Stadtmagistrat Wasserburg: Straßenreinlichkeit, 1862-1874).</ref>  
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Aus mehreren Verfügungen des Bezirksamtes Wasserburg der 1860er Jahre wird in diesem Zusammenhang deutlich, dass der Staat die Umsetzung seiner Vorgaben zur ''Gesundheits- und Reinlichkeitspolizei'' gegenüber dem Magistrat einfordern musste. Des Öfteren wird die Stadt Wasserburg in diesen Jahren ''erinnert'', die Straßenreinigung regelmäßig durchzuführen und den ''Unrath'' von den Straßen zu entfernen.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#StadtA Wasserburg a. Inn, II1182|StadtA Wasserburg a. Inn, II1182.]].<ref>
  
 
Hier werden die Korrespondenzen bezüglich der Wasserburger Abtritte (sprachlich eine Variante des Austretens) vorgestellt:
 
Hier werden die Korrespondenzen bezüglich der Wasserburger Abtritte (sprachlich eine Variante des Austretens) vorgestellt:

Version vom 11. Januar 2021, 10:51 Uhr

Autor: Matthias Haupt

Vor der Kanalisierung der Stadt Wasserburg
Lösungen zum Problem der Reihen und Abtritte

Bevor Ende des 19. Jahrhunderts damit begonnen worden ist, ein leistungsfähiges System von Abwasserkanälen für die gesamte Altstadt zu installieren, hatte es zur Mitte des Jahrhunderts nur vier einzelne Kanalstränge gegeben. Diese entwässerten jeweils einzelne Straßenzüge und leiteten deren Abwasser dem Inn zu. Diese frühen Kanäle wiesen undichte Sohlen und Wände auf. Abwasser konnte daher austreten und den Boden unter der Altstadt verunreinigen. Für die übrigen Stadtbereiche, die Mitte des 19. Jahrhunderts noch gar nicht an den Kanal angeschlossen waren, gab es zwischen den Außenmauern der Altstadthäuser eine enge Reihe mit einer Breite bis zu zwei Metern. In solchen befanden sich auf Straßenniveau Gruben, in welche sämtliche Hausabwässer eingeleitet worden sind. Jedoch funktionierte die notwendige Entleerung der Gruben nicht immer. Es konnte sein, dass Versitzgruben überliefen und ihren Inhalt den offenen Rinnen mitteilten, welche der Straßenentwässerung zu dienen hatten. Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Unrats ist im Boden versickert. Wo die damals dürftigen Abwasserkanäle nicht hinreichten und wo auch Gruben, Tonnen oder Auffangkübel nicht vorhanden gewesen sind, wurde das Abwasser ohnehin über offene Rinnen entsorgt.[1]

Aus mehreren Verfügungen des Bezirksamtes Wasserburg der 1860er Jahre wird in diesem Zusammenhang deutlich, dass der Staat die Umsetzung seiner Vorgaben zur Gesundheits- und Reinlichkeitspolizei gegenüber dem Magistrat einfordern musste. Des Öfteren wird die Stadt Wasserburg in diesen Jahren erinnert, die Straßenreinigung regelmäßig durchzuführen und den Unrath von den Straßen zu entfernen.Referenzfehler: Für ein <ref>-Tag fehlt ein schließendes </ref>-Tag. Die Umsetzung nahm jedoch einige Jahre in Anspruch.

Nachdem 1864 das Collegium der Gemeindebevollmächtigten darauf hingewiesen hatte, dass so leibhaftige Fragmente wie sie beim Regenwetter in Begleitung eines hässlichen Gestankes an das Tageslicht treten, ekelerregend und sanitätswidrig seien und weiterhin seit 1866 das Entleeren von Exkrementen in die Reihe durch ortspolizeiliche Vorschrift zwar verboten war, die Umsetzung dieser Vorschrift jedoch weder erreicht noch durch den Magistrat verfolgt wurde,[2] bearbeitete der Waserburger Gerichtsarzt diese Fragestellungen nach starken Regenfällen und nach nicht flächendeckend erbrachten technischen Lösungen im Jahr 1868 nochmals gutachterlich:

Die so mächtigen Regenwässer in den jüngsten Tagen haben in der so belebten Lederergasse Zustände an das Licht geführt, die Beweise geben, welch große Mängel und Gebrechen sich allenthalben noch zwischen unseren Mauern [den Reihen] befinden und die zu beheben ebenso an der Zeit wäre, als es schwierig sein dürfte, sie ganz zu beseitigen. 

Im Ergebnis des Gutachtens schlägt der Gerichtsarzt drei Lösungen vor, die flächendeckend umgesetzt werden müssten:

Die wissenschaftlich festgestellte Tatsache, dass die Abgänge von ansteckenden Darmleiden (Ruhr, Typhus, Cholera) Erkrankten als die Träger des Krankheitsgiftes anzusehen sind und deren Ansammlung im Boden, im Untergrund und im Trinkwasser die Bildungsstätte von Krankheiten 

seien, sollte dies begründen.[3] Circa 30 Jahre vor dem Bau einer Kanalisierung der Altstadt sah der Gerichtsarzt die Lösung im Bau von Abtritt-Sammelgruben, beweglichen Abtritttonnen und Nachteimer-Kübelsystemen, die regelmäßig und aus einer Hand geleert werden sollten. Dem Gutachten wurden Skizzen zur Ausführung dieser Abtrittstonnen in Erdgeschoss und in Kellerlage beigelegt.

Ebenso, heißt es dort, sei Wasserburg durch seine Flusslage exponiert dafür, dass das Trinkwasser verunreinigt würde, da die verunreinigten Produkte bei hohem Wasser in Bewegung gesetzt und in die Brunnen gelangten.

Skizzen der Abtrittstonnen

In der Folge des Gutachtens sind zwar sowohl (gemeinschaftliche) Abtrittsammelgruben, Tonnen und Kübelsysteme eingerichtet worden. Jedoch wurde zunächst auch weiterhin toleriert, dass Abtrittsrohre direkt in die Reihe mündeten. Aus dem Juli 1869 ist ein Cirkular erhalten, welches die Anwohner verpflichtete, die Reihen regelmäßig (spätestens alle acht Tage) selbst zu reinigen. Die u.a. in diesem Zusammenhang aufgestellten Hauserfassungen zum Vermerk der verwendeten Systeme zeigen, dass das Auffangen in Gruben, Tonnen und Kübeln nach und nach für immer mehr Wasserburger Gebäude umgesetzt werden konnte. Der Forderung des Bezirksarztes, die Leerung sachgemäß in fachkundige Hände zu geben, kam man jedoch offensichtlich nicht nach. In den Hauserfassungen ist auch erfasst, ob die Leerung vom Magistrat oder durch die Bewohner selbst besorgt wurde. Mehrheitlich wurde (wohl aus Kostengründen) selbst geleert.[4]


Empfohlene Zitierweise:
Matthias Haupt, Reihen und Abtritte, publiziert am 11.01.2021 [=Tag der letzten Änderung(en) an dieser Seite]; in: Historisches Lexikon Wasserburg, URL: https://www.historisches-lexikon-wasserburg.de/Reihen_und_Abtritte (30.04.2024)

Creative Commons Lizenzvertrag. Lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.


  1. Scheidacher, Geschichte der städtischen Versorgungsbetriebe Wasserburg.
  2. (wie Anmerkung 2).
  3. (Abschrift eines) Behördenschreibens, Der königliche Bezirksgerichtsarzt an das königliche Bezirksamt Wasserburg, Die Reinlichkeit in den Straßen der Stadt Wasserburg, hier die Entfernung der Abtritte aus den Reihen betreffend, 2.7.1868, StadtA Wasserburg a. Inn, II1182.
  4. (wie Anmerkung 2).