Bürgerbewaffnung und Landesdefension im 16. Jahrhundert

Aus Historisches Lexikon Wasserburg
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Autor: Christoph Gampert

Bürgerbewaffnung und Landesdefension im 16. Jahrhundert

Einführung

Dass die Bürger im Notfall die Verteidigung ihrer Stadt selbst übernahmen, war im Mittelalter und in der frühen Neuzeit gang und gäbe. Das Recht auf Selbstverteidigung war sogar eine der größten Freiheiten mittelalterlicher autonomer Städte. [1] Der städtische Rat hatte dabei die Wehrhoheit inne, wozu auch das Recht gehörte, die Bürger zum Schutz der Stadt sowie für Romzüge des Kaisers und Feldzüge des Landesherrn (im Fall von landesherrlichen Städten) aufzubieten. Die Bürger hatten ihrerseits Wehrpflichten, zu denen auch der Wach- und Kriegsdienst zählten. [2] Die persönliche Dienstpflicht bildete die Grundlage des bürgerlichen Wehrwesens im Mittelalter – bei der Verteidigung und beim Feldzug. Zur Erhöhung der Wehrkraft wurde die Wehrpflicht auch auf Einwohner ohne Bürgerrecht, sog. Inwohner, ausgedehnt. [3] Wie das Wach- und Verteidigungswesen konkret organisiert war, unterschied sich von Stadt zu Stadt, je nach Verfassung des Gemeinwesens. In der Regel wurden die Bürger für die Wach- und Verteidigungsdienste nach Zünften oder Stadtvierteln eingeteilt. [4] Teilweise wurden die bürgerlichen Aufgebote noch von bei Bedarf geworbenen Söldnern und/oder dauerhaften besoldeten Wächtern oder sog. Einspännigen [5] ergänzt. [6] Laut Beate Sauerbrey sei das bürgerliche Wehrwesen zu Beginn des 15. Jahrhunderts noch intakt gewesen, auch wenn zu dieser Zeit bereits der Niedergang begonnen habe. Die persönliche Dienstleistung wird nicht mehr als Recht zur Mitwirkung am Stadtregiment verstanden, sondern als lästige Pflicht gegenüber der Obrigkeit. Im 16. Jahrhundert habe sich der bürgerliche Wehrdienst auf den Wachdienst und die Stadtverteidigung im Fall eines Angriffs beschränkt. Bei Kriegszügen habe die Bürgerwehr keine Rolle mehr gespielt, das Soldwesen sei zur Stütze des städtischen Verteidigungsapparates geworden. [7]

Neben der reinen Verteidigung der eigenen Stadt waren die Bürger auch an der Landesdefension beteiligt. Diese entwickelte sich aus der Landfolge, einer juristischen Verpflichtung der Haus- und Hofbesitzer auf dem Land und in den landesherrlichen Städten, im Kriegsfall selbst das Aufgebot der bewaffneten Männer zu stellen. Diese milizähnlichen Einheiten wurden auch als Ausschuss bezeichnet, weil ab dem 15. Jahrhundert nicht mehr alle Männer, sondern nur noch ein Teil erfasst wurde, i.d.R. der 30., 20., 10. oder 5.Mann. Organisatorisch fester gefügt wurde dies ab dem Ende des 16. Jahrhunderts als Defensionswerk bezeichnet. Hierzu gehörten auch Musterungen und Waffenschauen sowie Exerzier- und Waffenübungen. [8] Winfried Schulze versteht darunter eine umfassende Organisation der bewaffneten Untertanen in einem Territorium, die auch militärische Ausbildung und Übung eines qualifizierten Teils der Untertanen umfasste. [9]

Wie dies im 16. Jahrhundert in Wasserburg am Inn organisiert war, soll im Folgenden dargestellt und anhand einiger ausgewählter Beispiele aus dem Stadtarchiv illustriert werden.

Ausrüstung und Bewaffnung der Bürger

In der Stadt Wasserburg am Inn wurden die Bürger nach den vier Stadtvierteln (Schmidzeil-Viertel, Salzsender-Viertel, Ledererzeil-Viertel und Scheibenviertel) eingeteilt. [10] Jedes einzelne Viertel untergliederte sich wiederum in einzelne Rotten, i.d.R. gab es neun Rotten pro Viertel. [11] Jede Rotte wurde von einem Rottmeister geführt, das Viertel vom jeweiligen Viertelmeister. In einem Verzeichnis des Schmidzeil-Viertels aus dem Jahr 1583 werden insgesamt 98 Personen aufgeführt, die in neun Rotten eingeteilt waren. Die einzelne Rotte bestand i.d.R. aus 11-12 Männern.

Musterung des Schmidzeil-Viertels 1583

In dem genannten Verzeichnis werden neben den Namen der einzelnen Bürger auch deren Waffen und Rüstungen verzeichnet. Dabei wird auch bei einigen vermerkt, dass sie keine eigenen Waffen besitzen. Offensichtlich mussten diese aber trotzdem ihren militärischen Bürgerpflichten nachkommen, vermutlich erhielten sie im Verteidigungsfall Waffen aus dem städtischen Zeughaus oder wurden für andere Dienste eingesetzt, bei denen keine Waffen benötigt wurden, z.B. Schanzarbeiten. Die Bewaffnung der einzelnen Bürger war dabei recht unterschiedlich. Während der Rottmeister Wolfgang Wider über eine ganze Rüstung verfügte, besaßen andere, wie der Hutmacher Hans Seidler, nur eine Hellebarde oder, wie der Schuster Matthäus Ardtinger, einen Federspieß. [12] Insgesamt finden sich Hellebarden und verschiedene Formen von Spießen als häufigste Waffen.

zwei Hellebarden

Bei den Rüstungen werden hauptsächlich Armschienen und Sturmhauben [13] genannt. Interessant ist, dass manche Bürger nur über Rüstungsteile, aber nicht über Waffen verfügten. [14] Ob eine ganze Rüstung auch eine entsprechende Bewaffnung miteinschloss bleibt unklar. Es ist jedoch denkbar, dass Listen, wie die genannte, ausschließlich die Waffen und Rüstungen verzeichneten, die sich im Privatbesitz befanden. Da es ohnehin ein städtisches Zeughaus gab, aus dem im Verteidigungsfall Waffen an die Bürger verteilt wurden, war es nicht nötig, eine komplette Ausrüstung in eigenem Besitz zu haben. Dies würde auch erklären, warum bei einer ganzen Reihe von Bürgern nur Rüstungen, aber keine Waffen verzeichnet sind. Die Waffen erhielten sie ohnehin aus dem Zeughaus, also investierten sie ihr Geld lieber in eine Rüstung bzw. einzelne Schutzwaffen, um sich im Kampf besser schützen zu können. Die Existenz von Verzeichnissen, die ausschließlich Rüstungen auflisten, wie das Inventari der leichten ristungen im schmit zeiller vüertl aus dem Jahr 1583 spricht ebenfalls für diese Theorie. Laut diesem Inventar besaß Wolfgang Wider eine vollständige Plattenrüstung, bestehend aus Vorder- und Hinterteil, Kragen, zwei Armschienen, einem Paar Handschuhe, einer Sturmhaube und zwei Beintatschn[15].

Inventar der leichten Rüstungen im Schmidzeil-Viertel 1583

Doch er war nicht der einzige, der über eine so umfangreiche Rüstung verfügte. Weitere fünf Bürger besaßen die gleichen Schutzwaffen wie er, bei den meisten anderen fehlten nur ein oder zwei Teile. Ein Vorder- und Hinterteil besaßen fast alle. Da das Verzeichnis nur 21 Bürger namentlich erwähnt,[16] während das ganze Schmidzeil-Viertel gemäß dem zuvor genannten Verzeichnis aus dem gleichen Jahr 98 Personen umfasste, liegt die Vermutung nahe, dass in dem Inventar nur diejenigen verzeichnet wurden, die eine weitgehend vollständige Rüstung besaßen. Die übrigen 77 Bürger dieses Viertels dürften demnach keine Rüstungen, sondern nur einzelne Waffen in ihrem Besitz gehabt haben oder besaßen gar keine eigenen Waffen.

Auswahl und Musterung der Bürger

Es stellt sich nun die Frage, wie die Bürger für den städtischen Militärdienst ausgewählt wurden. Es ist kaum vorstellbar, dass in Verzeichnissen, wie dem erstgenannten, einfach alle männlichen Bewohner des jeweiligen Stadtviertels eingetragen wurden. Tatsächlich fanden regelmäßige Musterungen statt. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel stammt aus dem Jahr 1595, als am 24. Februar 1595 ein Befehl des bayerischen Herzogs Wilhelm V. erging, aufgrund der drohenden Türkengefahr eine Generalmusterung aller Untertanen im ganzen Land durchzuführen. In diesem Zusammenhang sollte die Stadt Wasserburg alle Bürger und Inwohner mustern, ein ordentliches Musterregister anlegen, wobei die Bürger folgende Angaben machen sollten, die dann auch ins Musterregister einzutragen waren: Name, Anzahl und Name der Söhne, Beruf, Anzahl eigener Häuser und Hofstätten, Teilnahme an Kriegszügen, Beherrschung von Büchsen sowie „Was sein beste hauptwehr und ob diese wehr seyn oder nicht“, also welche Waffe derjenige am besten handhaben konnte und ob sie sich in seinem Privatbesitz befand oder nicht. Bei Ankunft der herzoglichen Kommissare sollte diesen eine Abschrift des Registers übergeben werden und sie sollten im Anschluss die Bürger und Inwohner mustern. [17] Am 6. Oktober 1595 kündigten die Kommissare der Stadt Wasserburg ihr Kommen an. Die Bürger sollten angewiesen werden, bei Ankunft der Kommissare in ihrer besten Rüstung und Wehr zu erscheinen. [18] Die Bürger sollten also nicht nur hinsichtlich ihres Gesundheitszustands gemustert werden, sondern es sollten auch ihre Waffen und Rüstungen auf deren Tauglichkeit überprüft werden. Es liegt nahe, dass die folgende „Außwehlung inn der statt Wasserburg, so denn 9. octob. anno 95 beschehen“ das Ergebnis jener Musterung war. In diesem Fall wurde auch eine Einteilung nach dem 30., 15., 10. sowie 5. und 3. Mann vorgenommen. Insgesamt wurden 159 Bürger ausgewählt, 16 beim 30. Mann, 32 beim 15. Mann, 47 beim 10. Mann sowie 64 beim 5. und 3. Mann. Interessant ist noch die Anweisung des Herzogs in seinem Musterungsbefehl, die Stadt solle ohne Wissen der Kommissare keine neuen Waffen anschaffen. [19] Offensichtlich sollten diese zunächst den tatsächlichen Bedarf im Rahmen der Musterung ermitteln. Dass es dem Herzog dabei nur darum ging, die Stadt vor unnötigen Ausgaben zu schützen, ist kaum anzunehmen. Vielmehr liegt der Schluss nahe, dass der Herzog wollte, dass die Stadt nur bestimmte Waffen, möglicherweise moderne statt veralteter Modelle, anschaffte und er ihr diesbezüglich nicht traute. An jenem 9. Oktober 1595 brachten die Kommissare dann selbst Waffen und Rüstungen mit, die sie den Bürgern übergaben. [20]

  1. Sauerbrey, Stadtverteidigung, 183.
  2. Wübbeke-Pflüger, Sicherheitsorganisation, 173.
  3. Sauerbrey, Stadtverteidigung, 183.
  4. Wübbeke-Pflüger, Sicherheitsorganisation, 174.
  5. Adelung, Art. Einspännig. Deutsches Wörterbuch, Art. Einspännig.
  6. Wübbeke-Pflüger, Sicherheitsorganisation, 176-178.
  7. Sauerbrey, Stadtverteidigung, 189.
  8. Schnitter, Volk und Landesdefension, 10f.
  9. Schulze, Landesdefensionen, 129.
  10. Siehe Verzeichnisse der einzelnen Personen nach Rotten und Vierteln von 1546, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b352.
  11. Siehe Verzeichnis der Personen in den einzelnen Rotten mit Bewaffnung, undatiert, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b348.
  12. Ein Federspieß war eine Art Speer oder Lanze, siehe Reif, kurtrierische Musterung, 11. Die Gebrüder Grimm verstanden darunter einen Spieß, daran eisen mit langen federn geschlagen sind. Siehe Deutsches Wörterbuch, Art. Federspiesz. Möglicherweise ähnelte er der Schweinsfeder, einer Jagdwaffe mit eiserner Spitze und Parierstange. Krünitz, Art. Schweinsfeder.
  13. = Helmform. Krünitz, Art. Sturmhaube.
  14. Siehe Musterung des Schmidzeil-Viertels, Auflistung der einzelnen Rotten von 1583, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b348.
  15. = Beintasche, ein Rüstungsteil, dass die oberen Oberschenkel bzw. den Unterbauch schützte. Meyers Großes Konversations-Lexikon, Art. Rüstungen und Waffen I.
  16. „Inventari der leichten ristungen im schmit zeiller vüertl“ von 1583, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b348.
  17. Musterungsbefehl Herzog Wilhelms vom 24.2.1595, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b349.
  18. Die zur General-Landesmusterung verordneten Kommissare an die Stadt Wasserburg, Brief vom 6.10.1595, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b358.
  19. „Außwehlung inn der statt Wasserburg, so denn 9. octob. anno 95 beschehen“, Verzeichnis vom 9.10.1595, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b349.
  20. Verzeichnis der Rüstungen und Waffen, die von den Kommissaren am 9.10.1595 den Bürgern gebracht wurden, StadtA Wasserburg a. Inn, I1b349.