Konfessionsgeschichte im 16. Jahrhundert - evangelische Bewegung: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Historisches Lexikon Wasserburg
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(Landesherrliche Eingriffe in die Ratswahlen)
 
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In Wasserburg hat es weder eine Reformation noch vor dem 19. Jahrhundert eine evangelische Gemeinde gegeben. Schon bald nach 1519 und bis mindestens in die 1570er Jahre hinein lässt sich aber eine starke evangelische Bewegung in der Stadt nachweisen.<ref>Dieser Beitrag fußt auf Hiram Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch. Evangelische Bewegung und Gegenreformation in Wasserburg am Inn, 2017 (Sonderband der Schriftenreihe Heimat am Inn). Der Beitrag ist im Angebot [https://www.wasserburg.de/heimatverein/publikationen/digitale-publikationen/ Digitale Publikationen des Heimatvereins Wasserburg] digital verfügbar. [https://www.wasserburg.de/fileadmin/Dateien/Dateien/Heimatverein/Publikationen/HAI-Sbd.2-klein.pdf Hier gelangen Sie direkt zum Digitalisat].</ref> Man hörte deutsche Predigten, sang deutsche Gesänge und nahm das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, also mit Austeilung von Brot und Kelch an Laien, ein, pflegte also die neuen Formen des Protestantismus, ohne sich ausdrücklich von der alten Kirche loszusagen. Im Einzelfall ist deshalb auch gar nicht einfach zu entscheiden, ob es sich noch um eine von Laien getragene Reformbewegung innerhalb der alten oder schon um ein mehr oder minder klares Bekenntnis zur neuen Kirche handelte. Und genau diese Unsicherheit machten sich wohl auch die Zeitgenossen regelmäßig zu nutze. Denn die bayerischen Landesherren verfolgten nach anfänglicher Zurückhaltung schon früh eine streng gegenreformatorische Religionspolitik.<ref>Vgl. dazu Hans Rößler, Geschichte und Strukturen der evangelischen Bewegung im Bistum Freising, 1966 (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns 42).</ref>
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In Wasserburg hat es weder eine Reformation noch vor dem 19. Jahrhundert eine evangelische Gemeinde gegeben. Schon bald nach 1519 und bis mindestens in die 1570er Jahre hinein lässt sich aber eine starke evangelische Bewegung in der Stadt nachweisen.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch|Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch]].</ref> Man hörte deutsche Predigten, sang deutsche Gesänge und nahm das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, also mit Austeilung von Brot und Kelch an Laien, ein, pflegte also die neuen Formen des Protestantismus, ohne sich ausdrücklich von der alten Kirche loszusagen. Im Einzelfall ist deshalb auch gar nicht einfach zu entscheiden, ob es sich noch um eine von Laien getragene Reformbewegung innerhalb der alten oder schon um ein mehr oder minder klares Bekenntnis zur neuen Kirche handelte. Und genau diese Unsicherheit machten sich wohl auch die Zeitgenossen regelmäßig zu nutze. Denn die bayerischen Landesherren verfolgten nach anfänglicher Zurückhaltung schon früh eine streng gegenreformatorische Religionspolitik.<ref>Vgl. [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Rössler, Evangelische Bewegung|Rössler, Evangelische Bewegung]].</ref>
  
 
== Der Beginn der evangelischen Bewegung in Wasserburg ==
 
== Der Beginn der evangelischen Bewegung in Wasserburg ==
  
Die ersten greifbaren Spuren evangelischer Bewegung in Wasserburg lassen sich in einem Prozess finden, der im November 1525 drei Hilfsgeistlichen (so genannten Kooperatoren) gemacht wurden, die seit zwei Jahren in der Stadt evangelisch gepredigt haben sollen.<ref>Ausführlich dazu Matthias Simon, Die evangelische Bewegung der Reformationszeit in Wasserburg und das Ketzergerichtsprivileg der baierischen Herzöge von 1526, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 30 (1961), 121-167 mit umfassender Edition.</ref> Einer von ihnen war ein gewisser Michael Haydnecker, über den wir im Grunde nichts wissen, dessen Bruder Vincenz aber später unter dem latinisierten Namen Opsopoeus als einer der frühen Übersetzer von Lutherschriften ins Lateinische auftrat und im selben Jahr eine kleine Sammlung von Lutherschriften sogar dem Bruder gewidmet hatte.<ref>Gustav Bossert, Beiträge zur Geschichte der bayerischen Religionspolitik in der Reformationszeit, in: Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte 15 (1909), 1-16. hier 9.</ref> Das allerdings scheint den Behörden in München während des Prozesses noch nicht bekannt gewesen zu sein. Übereinstimmend sagten die Angeklagten aus, sie hätten auf Drängen des Rates und der Wasserburger Bürger gehandelt oder sich zumindest von ihrem Handeln handfeste Vorteile (nämlich ein ''beneficium vel stipendium'', also eine Pfründe) erhofft. Einer von ihnen brachte es in seiner Verteidigung auf die einfache Formel: ''man mueß sich nach dem volkh richten; das volk richt sich nit nach ainem''.<ref>Simon, Evangelische Bewegung (wie Anm. 3), 165.</ref>
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Die ersten greifbaren Spuren evangelischer Bewegung in Wasserburg lassen sich in einem Prozess finden, der im November 1525 drei Hilfsgeistlichen (so genannten Kooperatoren) gemacht wurden, die seit zwei Jahren in der Stadt evangelisch gepredigt haben sollen.<ref>Ausführlich dazu [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Simon, Reformationszeit in Wasserburg|Simon, Reformationszeit in Wasserburg]] mit umfassender Edition.</ref> Einer von ihnen war ein gewisser Michael Haydnecker, über den wir im Grunde nichts wissen, dessen Bruder Vincenz aber später unter dem latinisierten Namen Opsopoeus als einer der frühen Übersetzer von Lutherschriften ins Lateinische auftrat und im selben Jahr eine kleine Sammlung von Lutherschriften sogar dem Bruder gewidmet hatte.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Bossert, Bayerische Religionspolitik|Bossert, Bayerische Religionspolitik]], hier 9.</ref> Das allerdings scheint den Behörden in München während des Prozesses noch nicht bekannt gewesen zu sein. Übereinstimmend sagten die Angeklagten aus, sie hätten auf Drängen des Rates und der Wasserburger Bürger gehandelt oder sich zumindest von ihrem Handeln handfeste Vorteile (nämlich ein ''beneficium vel stipendium'', also eine Pfründe) erhofft. Einer von ihnen brachte es in seiner Verteidigung auf die einfache Formel: ''man mueß sich nach dem volkh richten; das volk richt sich nit nach ainem''.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Simon, Reformationszeit in Wasserburg|Simon, Reformationszeit in Wasserburg]], 165.</ref>
 
Zwei der drei angeklagten Geistlichen wurden zu ewigem Kerker verurteilt. Der dritte, Johannes Hörl, der nicht nur als Häretiker falsche Lehren verbreitet, sondern auch als Schismatiker die Unterordnung unter den Papst abgelehnt hatte, wurde enthauptet.
 
Zwei der drei angeklagten Geistlichen wurden zu ewigem Kerker verurteilt. Der dritte, Johannes Hörl, der nicht nur als Häretiker falsche Lehren verbreitet, sondern auch als Schismatiker die Unterordnung unter den Papst abgelehnt hatte, wurde enthauptet.
Der Wasserburger Prozess ist außergewöhnlich für die bayerische Konfessionsgeschichte, denn er ist der einzige Ketzerprozess geblieben, den die Münchener Herzöge nicht nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit, sondern auch gänzlich ohne formelle kirchliche Beteiligung durchführten. Möglich war das durch ein päpstliches Privileg von 1523 geworden, das 1526 noch einmal in einem Breve bestätigt wurde und den Herzögen das Recht zugestanden hatte, bei Untätigkeit der zuständigen kirchlichen Behörden auch selbständig in Religionsfragen, insbesondere gegen ''lutherani et alii heretici'' („Lutheraner und andere Ketzer“) tätig zu werden.<ref>Das Privileg von 1523 ist gedruckt bei Andreas Felix Oefele, Rerum Boicarum scriptores nusquam antehac editi 2, 1763, 276f. (fälschlich auf 1522 datiert), das Breve bei Simon, Evangelische Bewegung (wie Anm. 3), 154-157.</ref>
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Der Wasserburger Prozess ist außergewöhnlich für die bayerische Konfessionsgeschichte, denn er ist der einzige Ketzerprozess geblieben, den die Münchener Herzöge nicht nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit, sondern auch gänzlich ohne formelle kirchliche Beteiligung durchführten. Möglich war das durch ein päpstliches Privileg von 1523 geworden, das 1526 noch einmal in einem Breve bestätigt wurde und den Herzögen das Recht zugestanden hatte, bei Untätigkeit der zuständigen kirchlichen Behörden auch selbständig in Religionsfragen, insbesondere gegen ''lutherani et alii heretici'' (''Lutheraner und andere Ketzer'') tätig zu werden.<ref>Das Privileg von 1523 ist gedruckt bei [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Oefele, Rerum Boicarum|Oefele, Rerum Boicarum]], 276f. (fälschlich auf 1522 datiert), das Breve bei [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Simon, Reformationszeit in Wasserburg|Simon, Reformationszeit in Wasserburg]], 154-157.</ref>
  
 
== Michael Keller: ein Wasserburger als Reformator in Augsburg ==
 
== Michael Keller: ein Wasserburger als Reformator in Augsburg ==
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[[Datei:Michael Keller.gif|200px|thumb|right|Michael Keller († 1548)]]
 
[[Datei:Michael Keller.gif|200px|thumb|right|Michael Keller († 1548)]]
  
Zur selben Zeit wie die drei angeklagten Kooperatoren wirkte in Wasserburg als Priester ein später prominenter lutherischer Theologe: Michael Keller († 1548).<ref>Zur Biographie vgl. Friedrich Roth, Zur Lebensgeschichte des Meisters Michael Keller, in: Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte 5 (1899), 149-163; zu Wasserburg auch Simon, Evangelische Bewegung (wie Anm. 3), 127f.</ref> Auch er wurde – allerdings in anderem Kontext, schon 1524 – in München verhört und zwar nicht angeklagt, aber mit einem Predigtverbot belegt, sodass er die Stadt am Inn verließ und sich nach kurzer Zeit in Wittenberg, also in der Metropole der evangelischen Bewegung, in der Reichsstadt Augsburg niederließ. Dort entfaltete er sein eigentliches Wirken und war maßgeblich an der Einführung der Reformation im Jahre 1530 beteiligt. 1545 wurde er zu diesem Zweck in die Reichsstadt Kaufbeuren entsandt.<ref>Vgl. dazu Hiram Kümper, Quellen zur Kaufbeurer Reformationsgeschichte, 2017 (Kaufbeurer Schriften 17), 18f.</ref> In einem Brief, den Keller später an den Augsburger Bürgermeister Rehlinger, einen seiner großen Förderer, schrieb, betont er, er habe Wasserburg nur verlassen, um ''den großen schaden der frommen Wasserburger, der inen mit sampt mir aus meiner lenger erharrung erwachsen wer'', zu verhindern. ''Dann sie'' – also die Wasserburger – ''hetten den geschmagk des wort Gottes ain wenig entpfangen, darnach sie dann noch hitziger wurden''.<ref>Der Brief ist gedruckt bei Roth, Lebensgeschichte (wie Anm. 7), 158f.</ref> Die evangelische Bewegung hatte also schon damals, als Keller die Stadt verließ, in der Wasserburger Bürgerschaft Feuer gefangen.
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Zur selben Zeit wie die drei angeklagten Kooperatoren wirkte in Wasserburg als Priester ein später prominenter lutherischer Theologe: Michael Keller († 1548).<ref>Zur Biographie vgl. [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Roth, Meister Michael Keller|Roth, Meister Michael Keller]]./ Zu Wasserburg auch [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Simon, Reformationszeit in Wasserburg|Simon, Reformationszeit in Wasserburg]], 127f.</ref> Auch er wurde – allerdings in anderem Kontext, schon 1524 – in München verhört und zwar nicht angeklagt, aber mit einem Predigtverbot belegt, sodass er die Stadt am Inn verließ und sich nach kurzer Zeit in Wittenberg, also in der Metropole der evangelischen Bewegung, in der Reichsstadt Augsburg niederließ. Dort entfaltete er sein eigentliches Wirken und war maßgeblich an der Einführung der Reformation im Jahre 1530 beteiligt. 1545 wurde er zu diesem Zweck in die Reichsstadt Kaufbeuren entsandt.<ref>Vgl. dazu [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Kümper, Kaufbeurer Reformationsgeschichte|Kümper, Kaufbeurer Reformationsgeschichte]].</ref> In einem Brief, den Keller später an den Augsburger Bürgermeister Rehlinger, einen seiner großen Förderer, schrieb, betont er, er habe Wasserburg nur verlassen, um ''den großen schaden der frommen Wasserburger, der inen mit sampt mir aus meiner lenger erharrung erwachsen wer'', zu verhindern. ''Dann sie'' – also die Wasserburger – ''hetten den geschmagk des wort Gottes ain wenig entpfangen, darnach sie dann noch hitziger wurden''.<ref>Der Brief ist gedruckt bei [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Roth, Meister Michael Keller|Roth, Meister Michael Keller]], 158f.</ref> Die evangelische Bewegung hatte also schon damals, als Keller die Stadt verließ, in der Wasserburger Bürgerschaft Feuer gefangen.
  
 
== Wiedertäufer in Wasserburg ==
 
== Wiedertäufer in Wasserburg ==
  
Im Jahre 1528 wurden in Wasserburg sechs Männer und Frauen ''von deß angenommen widertaufes wegen unangesechen das sy all drey widerrueff und iren Irrthumb bekhent, mit dem schwert'' hingerichtet.<ref>München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 1594, fol. 26v. Der gesamte Bericht ist gedruckt bei Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch (wie Anm. 1), 61f.</ref> Gegen diese besondere Richtung des Protestantismus, die im Einzelnen regional sehr heterogen ist und die im Grunde nur durch das gemeinsame Bekenntnis zur Erwachsenentaufe einte, wetterten nicht nur die Altgläubigen, sondern auch Lutheraner und Reformierte. Sie waren daher in vielen Regionen Europas Verfolgungen ausgesetzt. In Bayern erreichten diese Verfolgungen 1527/28 ihren Höhepunkt.<ref>Guter, neuerer Überblick bei Barbara Kink, Die Täufer im Landgericht Landsberg 1527/28, 1997 (Forschungen zur Landes- und Regionalgeschichte 3), 43ff. </ref> Die Hinrichtung der Wasserburger Wiedertäufer erregte damals landesweit Aufsehen – nicht so sehr, weil man die Strafe als unangemessen für den als Ketzerei empfundenen Glauben der Hingerichteten empfand, sondern weil sich darunter neben einem Müller auch zwei Adelige, nämlich die Hofmarktsherren Andreas und Christoph Perwanger, befanden.<ref>Zu ihnen ausführlich Toni Drexler, Die Perwanger von Günzlhofen und Vogach. Hofmarksherren, Täufer und Domherren an der Wende zur Neuzeit, in: Amperland 41/42 (2006), 276-288.</ref> Unmittelbar nach der Hinrichtung notiert der heute vor allem für seine Wetteraufzeichnungen sehr bekannte Chronist Kilian Leib in seiner Chronik des Klosters Rebdorf
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Im Jahre 1528 wurden in Wasserburg sechs Männer und Frauen ''von deß angenommen widertaufes wegen unangesechen das sy all drey widerrueff und iren Irrthumb bekhent, mit dem schwert'' hingerichtet.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#BSB, Cgm 1594|BSB, Cgm 1594]], fol. 26v. Der gesamte Bericht ist gedruckt bei [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch|Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch]], 61f.</ref> Gegen diese besondere Richtung des Protestantismus, die im Einzelnen regional sehr heterogen ist und die im Grunde nur durch das gemeinsame Bekenntnis zur Erwachsenentaufe einte, wetterten nicht nur die Altgläubigen, sondern auch Lutheraner und Reformierte. Sie waren daher in vielen Regionen Europas Verfolgungen ausgesetzt. In Bayern erreichten diese Verfolgungen 1527/28 ihren Höhepunkt.<ref>Guter, neuerer Überblick bei [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Kink, Täufer im Landgericht Landsberg|Kink, Täufer im Landgericht Landsberg]], 43ff.</ref> Die Hinrichtung der Wasserburger Wiedertäufer erregte damals landesweit Aufsehen – nicht so sehr, weil man die Strafe als unangemessen für den als Ketzerei empfundenen Glauben der Hingerichteten empfand, sondern weil sich darunter neben einem Müller auch zwei Adelige, nämlich die Hofmarktsherren Andreas und Christoph Perwanger, befanden.<ref>Zu ihnen ausführlich [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Drexler, Die Perwanger von Günzlhofen|Drexler, Die Perwanger von Günzlhofen]].</ref> Unmittelbar nach der Hinrichtung notiert der heute vor allem für seine Wetteraufzeichnungen sehr bekannte Chronist Kilian Leib in seiner Chronik des Klosters Rebdorf
 
bei Eichstätt:
 
bei Eichstätt:
  
  ''Bei denen, die in München zum Tode verurteilt wurden, sind zwei leibliche Brüder aus adeligem Geschlecht mit Namen Perwanger geköpft worden, da die Wiedertäufer durch keinerlei Vernunftgründe dazu gebracht werden konnten, ihren Irrtum zuzugeben; und so wurden sie ein drittes Mal, freilich mit Blut, getauft.''<ref>Ignaz von Döllinger, Beiträge zur politischen, kirchlichen und Cultur-Geschichte der sechs letzten Jahrhunderte 2, 1863, 517: ''Inter eos, qui Monachii suppliciis affecti sunt, duo germani fratres ex stirpe nobilium, quibus Perwanger cognomen est, cum rebaptizati nullis, ut errorem agnoscerent, potuisset adduci rationibus, capite caesi sunt, ac sic tertio, sanguine scilicet baptizati''.</ref>''
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  ''Bei denen, die in München zum Tode verurteilt wurden, sind zwei leibliche Brüder aus adeligem Geschlecht mit Namen Perwanger geköpft worden, da die Wiedertäufer durch keinerlei Vernunftgründe dazu gebracht werden konnten, ihren Irrtum zuzugeben; und so wurden sie ein drittes Mal, freilich mit Blut, getauft.''<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Döllinger, Cultur-Geschichte|Döllinger, Cultur-Geschichte]], 517: ''Inter eos, qui Monachii suppliciis affecti sunt, duo germani fratres ex stirpe nobilium, quibus Perwanger cognomen est, cum rebaptizati nullis, ut errorem agnoscerent, potuisset adduci rationibus, capite caesi sunt, ac sic tertio, sanguine scilicet baptizati''.</ref>''
  
 
== Landesherrliche Eingriffe in die Ratswahlen ==
 
== Landesherrliche Eingriffe in die Ratswahlen ==
  
In den 1530 und -40er Jahren griffen die Herzöge immer wieder in die Wasserburger Ratswahlen ein, um den Einfluss der evangelischen Bewegung im Rat zu brechen. Die rechtliche Grundlage dafür war eine in vielen bayerischen Landstädten, und so 1507 auch in Wasserburg, eingeführte Ratswahlordnung, die den Landesherren das Bestätigungsrecht bei Neuwahl des Inneren Rates zugestand.<ref>StadtA Wasserburg a. Inn, I1c9. (=I. Altes Archiv, Ratswahl, städtische Ämter/Personalwesen: Rats- und Bürgerbuch). Zur Sache vgl. Carl A. Hoffmann, Die reformierte Ratswahlordnung für oberbayerische Städte und Märkte vom Anfang des 16. Jahrhunderts, in: Elisabeth Lukas-Götz u.a. (Hg.), Quellen zur Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte bayerischer Städte in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Festgabe für Wilhelm Störmer zum 65. Geburtstag, 1993 (Materialien zur bayerischen Landesgeschichte 11), 1-16. Dort auf S. 12-16 auch Edition einer formularhaft ausgeführten Ratswahlordnung Herzog Wilhelms IV. von 1513.</ref> Diese Bestätigungen sind im Wasserburger Stadtarchiv noch in großer Zahl vorhanden, regelmäßig allerdings mit einschränkenden Änderungswünschen, die einzelne Nominierte durch neue Kandidaten ersetzen. Diese werden üblicherweise in beigelegten ''zetln'' benannt. Zwischen 1535 und 1549 beispielsweise enthält jede der jährlich eingereichten neuen Wahlvorschläge herzogliche Veränderungen. Dass danach eine gleiche Massivität landesherrlicher Eingriffe nicht mehr festzustellen ist, liegt vermutlich nicht so sehr an einer veränderten politischen Situation, sondern vor allem an der Lückenhaftigkeit der Überlieferung.
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In den 1530 und -40er Jahren griffen die Herzöge immer wieder in die Wasserburger Ratswahlen ein, um den Einfluss der evangelischen Bewegung im Rat zu brechen. Die rechtliche Grundlage dafür war eine in vielen bayerischen Landstädten, und so 1507 auch in Wasserburg, eingeführte Ratswahlordnung, die den Landesherren das Bestätigungsrecht bei Neuwahl des Inneren Rates zugestand.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#StadtA Wasserburg a. Inn, I1c9|StadtA Wasserburg a. Inn, I1c9]]. Zur Sache vgl. [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Hoffmann, Die reformierte Ratswahlordnung|Hoffmann, Die reformierte Ratswahlordnung]]. Dort, 12-16, auch Edition einer formularhaft ausgeführten Ratswahlordnung Herzog Wilhelms IV. von 1513.</ref> Diese Bestätigungen sind im Wasserburger Stadtarchiv noch in großer Zahl vorhanden, regelmäßig allerdings mit einschränkenden Änderungswünschen, die einzelne Nominierte durch neue Kandidaten ersetzen. Diese werden üblicherweise in beigelegten ''zetln'' benannt. Zwischen 1535 und 1549 beispielsweise enthält jede der jährlich eingereichten neuen Wahlvorschläge herzogliche Veränderungen. Dass danach eine gleiche Massivität landesherrlicher Eingriffe nicht mehr festzustellen ist, liegt vermutlich nicht so sehr an einer veränderten politischen Situation, sondern vor allem an der Lückenhaftigkeit der Überlieferung.
  
 
[[Datei:Ratswahlbestätigung.png|200px|thumb|right|Ratswahlbestätigung von 1540 ]]
 
[[Datei:Ratswahlbestätigung.png|200px|thumb|right|Ratswahlbestätigung von 1540 ]]
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Dass der landesherrlich befohlene Austausch der Kandidaten in der Regel konfessionspolitisch motiviert war, darauf deutet ein Schreiben vom Januar 1539:
 
Dass der landesherrlich befohlene Austausch der Kandidaten in der Regel konfessionspolitisch motiviert war, darauf deutet ein Schreiben vom Januar 1539:
  
''"Dieweil unns anlanngt, das bei uch ettlich personen dem newen glauben anhenngig sein sollen, seien wir als lanndsfürsten geursacht, bey uch unnd andern steten und flecken […] in unnserm lannde fursehung zuthun, damit nicht nur die kaiserlich-königlichen Erlasse beachtet, sondern auch unnser hiervor derhalben außganngen gepoten unnd mandaten gemäß gehanndthabt; vor allem aber khainswegs gestatt werde, sollichen neuen glauben oder secten einreisen zelassen."<ref>StadtA Wasserburg a. Inn, I1b397(=I. Altes Archiv, Ratswahl, städtische Ämter/Personalwesen: Ratswahlen, 1508-1549), o. fol. (1539.I.3).</ref>''
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''Dieweil unns anlanngt, das bei uch ettlich personen dem newen glauben anhenngig sein sollen, seien wir als lanndsfürsten geursacht, bey uch unnd andern steten und flecken […] in unnserm lannde fursehung zuthun, damit nicht nur die kaiserlich-königlichen Erlasse beachtet, sondern auch unnser hiervor derhalben außganngen gepoten unnd mandaten gemäß gehanndthabt; vor allem aber khainswegs gestatt werde, sollichen neuen glauben oder secten einreisen zelassen.''<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#StadtA Wasserburg a. Inn, I1b397|StadtA Wasserburg a. Inn, I1b397]], o. fol. (1539.I.3).</ref>''
  
Der Ärger um die Ratsbestätigungen und die offensichtlich nachlässige Befolgung der herzoglichen Anweisungen durch die Wasserburger zog sich noch über Jahre hin. Noch 1565 musste Albrecht V. ärgerlich feststellen, dass ihm (wieder einmal) keine Nachricht über den neuen Inneren Rat vorgelegt worden sei, obwohl doch ''auch ainer oder mer religion halben verdacht unnd im rath deßhalben nit zugedulden were''<ref>StadtA Wasserburg a. Inn, I2b199(=I. Altes Archiv, Berichtspflicht und Rechenschaft gegenüber dem Landesherren: Obrigkeitliche Aufsicht über die Kirchen- und Wohlfahrtsstiftungen, 1611-1658, 1728).</ref>.
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Der Ärger um die Ratsbestätigungen und die offensichtlich nachlässige Befolgung der herzoglichen Anweisungen durch die Wasserburger zog sich noch über Jahre hin. Noch 1565 musste Albrecht V. ärgerlich feststellen, dass ihm (wieder einmal) keine Nachricht über den neuen Inneren Rat vorgelegt worden sei, obwohl doch ''auch ainer oder mer religion halben verdacht unnd im rath deßhalben nit zugedulden were''<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#StadtA Wasserburg a. Inn, I2b199|StadtA Wasserburg a. Inn, I2b199]].</ref>.
  
 
== Evangelische ‚Ausläufer‘ in die Grafschaft Haag und nach Regensburg ==
 
== Evangelische ‚Ausläufer‘ in die Grafschaft Haag und nach Regensburg ==
  
In den zwei Jahrzehnten zwischen 1541, als Ladislaus von Frauenberg für seine Gattin, die badische Prinzessin Maria Simone, einen lutherischen Prediger nach Haag holte, und seinem Tod im Jahre 1566, entwickelte sich die kleine Reichsgrafschaft zu einer wichtigen protestantischen Enklave inmitten des katholischen Bayerns.<ref>Vgl. Rößler, Geschichte und Strukturen (wie Anm. 2), 116-132 und Gabriele Greindl, Luthertum, altbayerischer Hochadel und wittelsbachische Territorialpolitik. Die frühe Phase der Reformation, in: Hubertus Seibert (Hg.), Bayern und die Protestanten, 2017, 35-57.</ref> Das hatte auch Auswirkungen auf das nahe Wasserburg, von wo offenbar zahlreiche so genannte ''ausleuffer'' regelmäßig die Landesgrenze passierten, um dem evangelischen Gottesdienst in der Grafschaft beizuwohnen. 1561 erließ Herzog Albrecht V. dagegen einen Befehl, der sich u.a. auch direkt an den Pfleger von Wasserburg richtete.<ref>München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Grafschaft Haag, Literalien, Nr. 30, fol. 243r-244r.</ref> Mit dem kinderlosen Tod Graf Ladislaus‘ und dem Übergang der Grafschaft an Bayern wurde diese dann auch umgehend rekatholisiert. Die evangelische Gefahr aus der Reichsstadt Regensburg, die bereits 1542 die Bayernherzöge vergeblich zu unterbinden versuchten, ließ sich dagegen kaum wirkungsvoll bannen.<ref>Vgl. Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch (wie Anm. 1), 72f.</ref>
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In den zwei Jahrzehnten zwischen 1541, als Ladislaus von Frauenberg für seine Gattin, die badische Prinzessin Maria Simone, einen lutherischen Prediger nach Haag holte, und seinem Tod im Jahre 1566, entwickelte sich die kleine Reichsgrafschaft zu einer wichtigen protestantischen Enklave inmitten des katholischen Bayerns.<ref>Vgl. [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Rössler, Evangelische Bewegung|Rössler, Evangelische Bewegung]], 116-132 und [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Greindl, Luthertum|Greindl, Luthertum]].</ref> Das hatte auch Auswirkungen auf das nahe Wasserburg, von wo offenbar zahlreiche so genannte ''ausleuffer'' regelmäßig die Landesgrenze passierten, um dem evangelischen Gottesdienst in der Grafschaft beizuwohnen. 1561 erließ Herzog Albrecht V. dagegen einen Befehl, der sich u.a. auch direkt an den Pfleger von Wasserburg richtete.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#BayHStA, Grafschaft Haag Literalien Nr. 30|BayHStA, Grafschaft Haag Literalien Nr. 30]], fol. 243r-244r.</ref> Mit dem kinderlosen Tod Graf Ladislaus‘ und dem Übergang der Grafschaft an Bayern wurde diese dann auch umgehend rekatholisiert. Die evangelische Gefahr aus der Reichsstadt Regensburg, die bereits 1542 die Bayernherzöge vergeblich zu unterbinden versuchten, ließ sich dagegen kaum wirkungsvoll bannen.<ref>Vgl. [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch|Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch]], 72f.</ref>
  
 
== Evangelisches Leben in Wasserburg um die Mitte des 16. Jahrhunderts ==
 
== Evangelisches Leben in Wasserburg um die Mitte des 16. Jahrhunderts ==
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[[Datei:Albrecht V..jpg|200px|thumb|right|Herzog Albrecht V. von Bayern (1528-1579)]]
 
[[Datei:Albrecht V..jpg|200px|thumb|right|Herzog Albrecht V. von Bayern (1528-1579)]]
  
Zu Beginn der 1550er Jahre kann im ganzen Reich ein politisches Wiedererstarken der protestantischen Position beobachtet werden. In Bayern wurde im Zuge dessen die Forderung nach Einführung des Laienkelchs wieder stärker – so sehr, dass man in der Forschung von einer ‚Kelchbewegung‘ spricht.<ref>Ausführlich dazu Alois Knöpfler, Die Kelchbewegung in Bayern unter Herzog Albrecht V. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte des 16. Jahrhunderts aus archivalischen Quellen bearbeitet, 1891.</ref> Sie betraf durchaus nicht nur ausdrücklich evangelisch orientierte Gläubige, sondern wurde von vielen auch für einen wichtigen Schritt hin zu einem konfessionellen Kompromiss angesehen, der eine zentrale Reformforderung bei gleichzeitigem Verharren in der alten Kirche verknüpfte. Und tatsächlich ließ Albrecht V. auf Forderung der bayerischen Landstände hin kurzzeitig das Abendmahl unter beiderlei Gestalt für all jene zu, ''welche ihr Gewissen dazu dringet''.<ref>Max von Freyberg, Geschichte der bayerischen Landstände und ihrer Verhandlungen 2, 1829, 323f.</ref> Die erhoffte Zustimmung aus Rom für diesen Schritt blieb allerdings zunächst aus. Und als sie endlich kam, war die politische Position Herzog Albrechts V. schon wieder so stark, dass er sich 1571 in der Lage sah, seine bereits stark eingeschränkte Erlaubnis gänzlich zurückzuziehen und wieder ein allgemeines Kelchverbot zu erlassen.<ref>Gedruckt bei Knöpfler, Kelchbewegung (wie Anm. 20), S. 213f.</ref>  
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Zu Beginn der 1550er Jahre kann im ganzen Reich ein politisches Wiedererstarken der protestantischen Position beobachtet werden. In Bayern wurde im Zuge dessen die Forderung nach Einführung des Laienkelchs wieder stärker – so sehr, dass man in der Forschung von einer ‚Kelchbewegung‘ spricht.<ref>Ausführlich dazu [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Knöpfler, Die Kelchbewegung|Knöpfler, Die Kelchbewegung]].</ref> Sie betraf durchaus nicht nur ausdrücklich evangelisch orientierte Gläubige, sondern wurde von vielen auch für einen wichtigen Schritt hin zu einem konfessionellen Kompromiss angesehen, der eine zentrale Reformforderung bei gleichzeitigem Verharren in der alten Kirche verknüpfte. Und tatsächlich ließ Albrecht V. auf Forderung der bayerischen Landstände hin kurzzeitig das Abendmahl unter beiderlei Gestalt für all jene zu, ''welche ihr Gewissen dazu dringet''.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Freyberg, Bayerische Landstände|Freyberg, Bayerische Landstände]], 323f.</ref> Die erhoffte Zustimmung aus Rom für diesen Schritt blieb allerdings zunächst aus. Und als sie endlich kam, war die politische Position Herzog Albrechts V. schon wieder so stark, dass er sich 1571 in der Lage sah, seine bereits stark eingeschränkte Erlaubnis gänzlich zurückzuziehen und wieder ein allgemeines Kelchverbot zu erlassen.<ref>Gedruckt bei [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Knöpfler, Die Kelchbewegung|Knöpfler, Die Kelchbewegung]], 213f.</ref>  
  
 
[[Datei:Religionsmandat.png|200px|thumb|right|Landesherrliches Religionsmandat von 1566.]]
 
[[Datei:Religionsmandat.png|200px|thumb|right|Landesherrliches Religionsmandat von 1566.]]
  
In diesen Jahrzehnten war allerdings die Kommunion ''sub utraque'', also in beiderlei Gestalt, längst üblich unter den Wasserburger Eliten – und sicher auch darüber hinaus – geworden. Und nicht nur das. Auch andere evangelische Praktiken und Lehren hatten Einzug gehalten. Entsetzen über die kirchlichen Zustände in Wasserburg spricht etwa aus dem leider nicht näher datierten Bericht eines päpstlichen Gesandten aus den Jahren um 1560, der auf dem Weg in Wasserburg Station machte: Ein mitreisender Italiener habe, als er die Beichte ablegen wollte, erfahren, dass die Aufzählung der Sünden (''enummeratio peccatorum'') selbst keinen Wert habe, sondern es ''„genug ist, wenn du dich vor der Sünde vorsiehst und sie aus eigenem Schmerz erkennst“ (satis est, quod pecasse te confiteris et ex eo dolorem concipis)''. Das Hochamt am Osterdienstag wurde ohne Ministrant und mit den falschen Gesängen zelebriert.<ref>Auszüge aus dem Bericht bei Johann Georg Schelhorn, Ergötzlichkeiten aus der Kirchenhistorie und Literatur, in welchen Nachrichten von seltenen Büchern, wichtige Urkunden, merkwürdige Briefe und verschiedene Anmerkungen enthalten sind 2, 1763, 281f.</ref> Einen guten Einblick gewähren die Berichte, die im Zuge der landesweiten ''Visitatio Bavarica'', der Visitation sämtlicher Kirchengemeinden im Herzogtum, angelegt wurden.<ref>Für das Bistums Freising sind die Protokolle ediert und umfassend ausgewertet durch Anton Landersdorfer, Das Bistum Freising in der bayerischen Visitation des Jahres 1560, 1986 (Münchener Theologische Studien I 26). Zu Wasserburg dort vor allem S. 594-602.</ref> Wasserburg wurde im Herbst 1560 visitiert. In ''nahent […] allen heusern der statt'' fand man dabei ''verbotne, verdechtliche puecher''<ref>Landersdorfer, Bayerische Visitation (wie Anm. 24), 597.</ref> – was umso erstaunlicher ist, als gerade im Jahr zuvor, eine große Büchervisitation vor Ort durchgeführt worden war, die ''allerley verfüersche, auch schandt- unnd lasterpüecher wider unnser alte, ware, catholische religion'' zutage gefördert hatte.<ref>StadtA Wasserburg a. Inn, I2b199.</ref>  
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In diesen Jahrzehnten war allerdings die Kommunion ''sub utraque'', also in beiderlei Gestalt, längst üblich unter den Wasserburger Eliten – und sicher auch darüber hinaus – geworden. Und nicht nur das. Auch andere evangelische Praktiken und Lehren hatten Einzug gehalten. Entsetzen über die kirchlichen Zustände in Wasserburg spricht etwa aus dem leider nicht näher datierten Bericht eines päpstlichen Gesandten aus den Jahren um 1560, der auf dem Weg in Wasserburg Station machte: Ein mitreisender Italiener habe, als er die Beichte ablegen wollte, erfahren, dass die Aufzählung der Sünden (''enummeratio peccatorum'') selbst keinen Wert habe, sondern es ''„genug ist, wenn du dich vor der Sünde vorsiehst und sie aus eigenem Schmerz erkennst“ (satis est, quod pecasse te confiteris et ex eo dolorem concipis)''. Das Hochamt am Osterdienstag wurde ohne Ministrant und mit den falschen Gesängen zelebriert.<ref>Auszüge aus dem Bericht bei [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Schelhorn, Ergötzlichkeiten|Schelhorn, Ergötzlichkeiten]], 281f.</ref> Einen guten Einblick gewähren die Berichte, die im Zuge der landesweiten ''Visitatio Bavarica'', der Visitation sämtlicher Kirchengemeinden im Herzogtum, angelegt wurden.<ref>Für das Bistums Freising sind die Protokolle ediert und umfassend ausgewertet durch [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Landersdorfer, Das Bistum Freising|Landersdorfer, Das Bistum Freising]]. Zu Wasserburg dort vor allem 594-602.</ref> Wasserburg wurde im Herbst 1560 visitiert. In ''nahent […] allen heusern der statt'' fand man dabei ''verbotne, verdechtliche puecher''<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Landersdorfer, Das Bistum Freising|Landersdorfer, Das Bistum Freising]], 597.</ref> – was umso erstaunlicher ist, als gerade im Jahr zuvor, eine große Büchervisitation vor Ort durchgeführt worden war, die ''allerley verfüersche, auch schandt- unnd lasterpüecher wider unnser alte, ware, catholische religion'' zutage gefördert hatte.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#StadtA Wasserburg a. Inn, I2b199|StadtA Wasserburg a. Inn, I2b199]].</ref> Auch die örtlichen Geistlichen schnitten bei der Visitation nicht gut ab: Georg Nicolaus zum Beispiel, Vikar zu [[St. Jakob]], wurde in zahlreichen Punkten für unzureichend befunden: Zwar kämen katholische Lehrautoritäten zur Anwendung ''(utitur authoribus catholicis)'', jedoch würden deutsche Lieder gesungen. Von der Messe lehre der Vikar, sie sei von der Kirche eingesetzt worden, ''oblationem panis et vini'', das Austeilen von Brot und Wein also, jedoch von Christus. Entsprechend erhielten rund 30 der rund 2.200 Kommunikanten, die er betreue, das Abendmahl ''sub utraque'' – ein kleiner, elitärer Kreis, der gleich an den Rat denken lässt. Außerdem könne der Vikar die Systematik der Sünden nicht verlässlich wiedergeben und streite den sakramentalen Charakter der Ehe ab.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Landersdorfer, Das Bistum Freising|Landersdorfer, Das Bistum Freising]], 594f.</ref> Natürlich diente die Visitation nicht nur der Verfolgung protestantischen Gedankengutes, sondern auch der Aufdeckung von Mängeln in Ausbildung und Lebensführung des Klerus. ''Definitionem sacramentorum nescivit, die Definition der Sakramente kannte er nicht'', urteilten die Visitatoren beispielsweise über den Benefiziaten Cosmas Puechschuester, der zwei gestiftete Altarmessen versah. ''Hat zwo köchin gehabt, bei der ersten 3 kinder. Von seiner meß S. Bartholomei ist ain zehendt versetzt''. Er sei aber trotzdem ''guet catholisch'', nur eben ''ain schwache person''.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Landersdorfer, Das Bistum Freising|Landersdorfer, Das Bistum Freising]], 596.</ref>
Auch die örtlichen Geistlichen schnitten bei der Visitation nicht gut ab: Georg Nicolaus zum Beispiel, Vikar zu [[St. Jakob]], wurde in zahlreichen Punkten für unzureichend befunden: Zwar kämen katholische Lehrautoritäten zur Anwendung ''(utitur authoribus catholicis)'', jedoch würden deutsche Lieder gesungen. Von der Messe lehre der Vikar, sie sei von der Kirche eingesetzt worden, ''oblationem panis et vini'', das Austeilen von Brot und Wein also, jedoch von Christus. Entsprechend erhielten rund 30 der rund 2.200 Kommunikanten, die er betreue, das Abendmahl ''sub utraque'' – ein kleiner, elitärer Kreis, der gleich an den Rat denken lässt. Außerdem könne der Vikar die Systematik der Sünden nicht verlässlich wiedergeben und streite den sakramentalen Charakter der Ehe ab.<ref>Landersdorfer, Bayerische Visitation (wie Anm. 24), 594f.</ref>  
 
Natürlich diente die Visitation nicht nur der Verfolgung protestantischen Gedankengutes, sondern auch der Aufdeckung von Mängeln in Ausbildung und Lebensführung des Klerus. ''Definitionem sacramentorum nescivit, die Definition der Sakramente kannte er nicht'', urteilten die Visitatoren beispielsweise über den Benefiziaten Cosmas Puechschuester, der zwei gestiftete Altarmessen versah. ''Hat zwo köchin gehabt, bei der ersten 3 kinder. Von seiner meß S. Bartholomei ist ain zehendt versetzt''. Er sei aber trotzdem ''guet catholisch'', nur eben ''ain schwache person''.<ref>Landersdorfer, Bayerische Visitation (wie Anm. 24), 596.</ref>
 
  
 
== Die gegenreformatorische Wende von 1564/65  ==
 
== Die gegenreformatorische Wende von 1564/65  ==
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[[Datei:Kommunikantenliste.png|200px|thumb|right|Wasserburger Kommunikantenliste]]
 
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Eine wesentliche Wende in der herzoglichen Konfessionspolitik war die Durchsetzung Herzog Albrechts V. in dem als ‚Adelsverschwörung‘ in die landesgeschichtliche Literatur eingegangenen Konflikt um die Einführung der Reformation in der Grafschaft Ortenburg.<ref>Eine gute Zusammenfassung bietet Stefan Weinfurter, Herzog, Adel und Reformation. Bayern im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, in: Zeitschrift für historische Forschung 10 (1983), 1-39, hier 3f.</ref> Damit einher ging ein merklicher Verlust des landständischen Einflusses im Herzogtum, der über Jahrzehnte immer wieder einzelne evangelische Forderungen aufgebracht hatte. Viele landständische Aufgaben wurden nun von herzoglichen Beamten übernommen.<ref>Zu diesem Prozess vgl. Gabriele Greindl, Untersuchungen zur bayerischen Ständeversammlung im 16. Jahrhundert. Organisation, Aufgaben und die Rolle der adeligen Korporation, 1983 (Miscellanea Bavarica Monacensia 121), 127-156.</ref> So konnte Albrecht V. seit der Mitte der 1560er Jahre seine Landesherrschaft immer stärker ausbauen – und tat dies auch in konfessionspolitischer Hinsicht.  
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Eine wesentliche Wende in der herzoglichen Konfessionspolitik war die Durchsetzung Herzog Albrechts V. in dem als ‚Adelsverschwörung‘ in die landesgeschichtliche Literatur eingegangenen Konflikt um die Einführung der Reformation in der Grafschaft Ortenburg.<ref>Eine gute Zusammenfassung bietet [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Weinfurter, Herzog, Adel und Reformation|Weinfurter, Herzog, Adel und Reformation]], 3f.</ref> Damit einher ging ein merklicher Verlust des landständischen Einflusses im Herzogtum, der über Jahrzehnte immer wieder einzelne evangelische Forderungen aufgebracht hatte. Viele landständische Aufgaben wurden nun von herzoglichen Beamten übernommen.<ref>Zu diesem Prozess vgl. [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Greindl, Ständeversammlung|Greindl, Ständeversammlung]], 127-156.</ref> So konnte Albrecht V. seit der Mitte der 1560er Jahre seine Landesherrschaft immer stärker ausbauen – und tat dies auch in konfessionspolitischer Hinsicht.  
Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf der Verbreitung evangelischer oder antiklerikaler Bücher.<ref>Ausführlich dazu Helmut Neumann, Staatliche Bücherzensur und -aufsicht in Bayern von der Reformation bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts, 1977 (Studien und Quellen zur Geschichte des deutschen Verfassungsrechts A 9).</ref> 1566, nur zwei Jahre nach dem ‚Index librorum prohibitorum‘ des Trienter Konzils, ließ Albrecht einen ersten eigenen Index der in Bayern verbotenen Bücher drucken.<ref>Ediert bei Helmut Neumann, Staatliche Bücherzensur (wie Anm. 29), 78-84.</ref> In diesen Jahren wurde auch ein Wasserburger Prediger wegen des Besitzes solcher ''sectischen puecher'' nach München vorgeladen. Neben den Schriften Luthers und Melanchthons fand man dabei auch die antirömische Schmähschrift ‚Hundert auserwelte, grosse, vnuerschempte, feiste, wolgemeste erstunckene Papistische Lügen‘ des Amberger Hofpredigers Hieronymus Rauscher.<ref>Ausführlich dazu Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch (wie Anm. 1), 93-97 mit Edition der Bücherliste. </ref>  
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Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf der Verbreitung evangelischer oder antiklerikaler Bücher.<ref>Ausführlich dazu [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Neumann, Staatliche Bücherzensur|Neumann, Staatliche Bücherzensur]].</ref> 1566, nur zwei Jahre nach dem ‚Index librorum prohibitorum‘ des Trienter Konzils, ließ Albrecht einen ersten eigenen Index der in Bayern verbotenen Bücher drucken.<ref>Ediert bei [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Neumann, Staatliche Bücherzensur|Neumann, Staatliche Bücherzensur]], 78-84.</ref> In diesen Jahren wurde auch ein Wasserburger Prediger wegen des Besitzes solcher ''sectischen puecher'' nach München vorgeladen. Neben den Schriften Luthers und Melanchthons fand man dabei auch die antirömische Schmähschrift ‚Hundert auserwelte, grosse, vnuerschempte, feiste, wolgemeste erstunckene Papistische Lügen‘ des Amberger Hofpredigers Hieronymus Rauscher.<ref>Ausführlich dazu [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch|Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch]], 93-97 mit Edition der Bücherliste.</ref>  
Auch landesherrliche Visitationen, ob etwa ''verdambliche secten im schwange geen'', wurden regelmäßig durchgeführt, die nun nicht mehr von bischöflichem Personal, sondern vom herzoglichen Pfleger durchgeführt wurden.<ref>Zitiert aus den Frageartikeln der Wasserburger Visitation von 1565; ediert bei Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch (wie Anm. 1), 108-111.</ref> Zwar stritten die befragten Geistlichen jedes evangelische Leben in Wasserburg ab. Die wiederholten Befragungen und Buchrazzien dieser Jahre deuten aber ein anderes Bild an. Und immer wieder fallen Bürger misslich auf, ''die sich gegen unnsern räthen unnd abgesandten unbeschaiden unnd frölich erzeigt haben''.<ref>StadtA Wasserburg a. Inn, I1b230 (=I. Altes Archiv, Religionsangelegenheiten: Religionssachen, Teil 2, 1566-1616).</ref> 1568/69 wurde sogar der herzogliche Hofprediger Caspar Franck (1543-1584) nach Wasserburg gesandt, um die Haltung der Stadt ''in religionis sachen zum christlichen, billichen unnd schuldigen gehorsam'' zu prüfen.<ref>Das herzogliche Schreiben bei Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch (wie Anm. 1), 116f.</ref>
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Auch landesherrliche Visitationen, ob etwa ''verdambliche secten im schwange geen'', wurden regelmäßig durchgeführt, die nun nicht mehr von bischöflichem Personal, sondern vom herzoglichen Pfleger durchgeführt wurden.<ref>Zitiert aus den Frageartikeln der Wasserburger Visitation von 1565; ediert bei [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch|Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch]], 108-111.</ref> Zwar stritten die befragten Geistlichen jedes evangelische Leben in Wasserburg ab. Die wiederholten Befragungen und Buchrazzien dieser Jahre deuten aber ein anderes Bild an. Und immer wieder fallen Bürger misslich auf, ''die sich gegen unnsern räthen unnd abgesandten unbeschaiden unnd frölich erzeigt haben''.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#StadtA Wasserburg a. Inn, I1b230|StadtA Wasserburg a. Inn, I1b230]].</ref> 1568/69 wurde sogar der herzogliche Hofprediger Caspar Franck (1543-1584) nach Wasserburg gesandt, um die Haltung der Stadt ''in religionis sachen zum christlichen, billichen unnd schuldigen gehorsam'' zu prüfen.<ref>Das herzogliche Schreiben bei [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch|Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch]], 116f.</ref>
1570, kurz vor der endgültigen Wiederabschaffung des Laienkelchs also, wurden die Wasserburger Geistlichen dazu angehalten, ''alßdann auch berichten, welche personen von hi bei euch communiciren unnd wie sy sich gehalt haben''. Von den Kommunikantenlisten, die in diesem Zusammenhang entstanden sind, sind noch einige im Stadtarchiv erhalten.<ref>StadtA Wasserburg a. Inn, I1b230. Dort auch die zitierte Anweisung.</ref> Da mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 endgültig das Prinzip der landesherrlich bestimmten Konfession festgeschrieben wurde (''cuius regio, eius religio''), finden sich nun auch Listen wie ein ''Verzaichnus deren Personen, so schon abweckh gezogen'', von evangelischen Christen also, die von ihrem Wegzugsrecht Gebrauch gemacht hatten.<ref>Ebenfalls in StadtA Wasserburg a. Inn, I1b230.</ref>  
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1570, kurz vor der endgültigen Wiederabschaffung des Laienkelchs also, wurden die Wasserburger Geistlichen dazu angehalten, ''alßdann auch berichten, welche personen von hi bei euch communiciren unnd wie sy sich gehalt haben''. Von den Kommunikantenlisten, die in diesem Zusammenhang entstanden sind, sind noch einige im Stadtarchiv erhalten.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#StadtA Wasserburg a. Inn, I1b230|StadtA Wasserburg a. Inn, I1b230]]. Dort auch die zitierte Anweisung.</ref> Da mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 endgültig das Prinzip der landesherrlich bestimmten Konfession festgeschrieben wurde (''cuius regio, eius religio''), finden sich nun auch Listen wie ein ''Verzaichnus deren Personen, so schon abweckh gezogen'', von evangelischen Christen also, die von ihrem Wegzugsrecht Gebrauch gemacht hatten.<ref>Ebenfalls in [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#StadtA Wasserburg a. Inn, I1b230|StadtA Wasserburg a. Inn, I1b230]].</ref>
  
 
== Die evangelische Bewegung in den 1570er Jahren zwischen Versiegen und Verstecken ==
 
== Die evangelische Bewegung in den 1570er Jahren zwischen Versiegen und Verstecken ==
  
In den 1570er Jahren scheint die evangelische Bewegung in Wasserburg im Wesentlichen versiegt oder deutet sich nur noch in einzelnen Formen bürgerlicher Widerständigkeit an. Zwar wurden noch bis in das 17. Jahrhundert hinein regelmäßig Häuser nach ''verpotenen püechern'' durchsucht; die wesentlichen Störfaktoren im Auge der katholischen Obrigkeit aber waren offenbar erfolgreich beseitigt worden. 1581 notiert das Rentmeisterumrittprotokoll, ''es mechten zwen im rath verhanden sein, so in religione suspect sein sollen, doch lassen sie sich nit merkhen''.<ref>München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Staatsverwaltung, Nr. 2787, fol. 270r</ref>  
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In den 1570er Jahren scheint die evangelische Bewegung in Wasserburg im Wesentlichen versiegt oder deutet sich nur noch in einzelnen Formen bürgerlicher Widerständigkeit an. Zwar wurden noch bis in das 17. Jahrhundert hinein regelmäßig Häuser nach ''verpotenen püechern'' durchsucht; die wesentlichen Störfaktoren im Auge der katholischen Obrigkeit aber waren offenbar erfolgreich beseitigt worden. 1581 notiert das Rentmeisterumrittprotokoll, ''es mechten zwen im rath verhanden sein, so in religione suspect sein sollen, doch lassen sie sich nit merkhen''.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#BayHStA, Staatsverwaltung Nr. 2787|BayHStA, Staatsverwaltung Nr. 2787]], fol. 270r.</ref>  
Nur noch vereinzelt sahen sich die Herzöge genötigt, auf die nötige religiöse Sorgfalt hinzuweisen. So bemängelt ein Mandat Herzog Wilhelms V. vom März 1582: ''ob ir gleich in die kirchen kombt, beleibt ir doch gar sellten bis zum ennde oder dem segen darinn, sondern nemet, sobald nach volendter predig, euren weeg wider zu hauß''.<ref>StadtA Wasserburg a. Inn, I1b229 (=I. Altes Archiv, Religionsangelegenheiten: Religionssachen, Teil 1, 1548-1625). Das Mandat ist vollständig gedruckt bei Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch (wie Anm. 1), 121-123. </ref> Wenige Jahre später allerdings konnte Wilhelm persönlich an einer der wieder aufgenommenen Fronleichnamsprozessionen in Wasserburg teilnehmen, die zuvor jahrelang stillschweigend ausgesetzt (''nit umbgangen'') worden waren.<ref>Tobias Appl, Der Ausbau geistlicher Zentren als Kernstück der Kirchenpolitik Herzog Wilhelms V., Diss. phil. Univ. Regensburg 2009, 361.</ref>
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Nur noch vereinzelt sahen sich die Herzöge genötigt, auf die nötige religiöse Sorgfalt hinzuweisen. So bemängelt ein Mandat Herzog Wilhelms V. vom März 1582: ''ob ir gleich in die kirchen kombt, beleibt ir doch gar sellten bis zum ennde oder dem segen darinn, sondern nemet, sobald nach volendter predig, euren weeg wider zu hauß''.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#StadtA Wasserburg a. Inn, I1b229|StadtA Wasserburg a. Inn, I1b229]]. Das Mandat darin ist vollständig gedruckt bei [[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch|Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch]], 121-123. </ref> Wenige Jahre später allerdings konnte Wilhelm persönlich an einer der wieder aufgenommenen Fronleichnamsprozessionen in Wasserburg teilnehmen, die zuvor jahrelang stillschweigend ausgesetzt (''nit umbgangen'') worden waren.<ref>[[Quellen-_und_Literaturverzeichnis#Appl, Ausbau geistlicher Zentren|Appl, Ausbau geistlicher Zentren]], 361.</ref>
 
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Aktuelle Version vom 6. April 2020, 14:42 Uhr

Autor: Hiram Kümper

Konfessionsgeschichte im 16. Jahrhundert - evangelische Bewegung

Einführung

In Wasserburg hat es weder eine Reformation noch vor dem 19. Jahrhundert eine evangelische Gemeinde gegeben. Schon bald nach 1519 und bis mindestens in die 1570er Jahre hinein lässt sich aber eine starke evangelische Bewegung in der Stadt nachweisen.[1] Man hörte deutsche Predigten, sang deutsche Gesänge und nahm das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, also mit Austeilung von Brot und Kelch an Laien, ein, pflegte also die neuen Formen des Protestantismus, ohne sich ausdrücklich von der alten Kirche loszusagen. Im Einzelfall ist deshalb auch gar nicht einfach zu entscheiden, ob es sich noch um eine von Laien getragene Reformbewegung innerhalb der alten oder schon um ein mehr oder minder klares Bekenntnis zur neuen Kirche handelte. Und genau diese Unsicherheit machten sich wohl auch die Zeitgenossen regelmäßig zu nutze. Denn die bayerischen Landesherren verfolgten nach anfänglicher Zurückhaltung schon früh eine streng gegenreformatorische Religionspolitik.[2]

Der Beginn der evangelischen Bewegung in Wasserburg

Die ersten greifbaren Spuren evangelischer Bewegung in Wasserburg lassen sich in einem Prozess finden, der im November 1525 drei Hilfsgeistlichen (so genannten Kooperatoren) gemacht wurden, die seit zwei Jahren in der Stadt evangelisch gepredigt haben sollen.[3] Einer von ihnen war ein gewisser Michael Haydnecker, über den wir im Grunde nichts wissen, dessen Bruder Vincenz aber später unter dem latinisierten Namen Opsopoeus als einer der frühen Übersetzer von Lutherschriften ins Lateinische auftrat und im selben Jahr eine kleine Sammlung von Lutherschriften sogar dem Bruder gewidmet hatte.[4] Das allerdings scheint den Behörden in München während des Prozesses noch nicht bekannt gewesen zu sein. Übereinstimmend sagten die Angeklagten aus, sie hätten auf Drängen des Rates und der Wasserburger Bürger gehandelt oder sich zumindest von ihrem Handeln handfeste Vorteile (nämlich ein beneficium vel stipendium, also eine Pfründe) erhofft. Einer von ihnen brachte es in seiner Verteidigung auf die einfache Formel: man mueß sich nach dem volkh richten; das volk richt sich nit nach ainem.[5] Zwei der drei angeklagten Geistlichen wurden zu ewigem Kerker verurteilt. Der dritte, Johannes Hörl, der nicht nur als Häretiker falsche Lehren verbreitet, sondern auch als Schismatiker die Unterordnung unter den Papst abgelehnt hatte, wurde enthauptet. Der Wasserburger Prozess ist außergewöhnlich für die bayerische Konfessionsgeschichte, denn er ist der einzige Ketzerprozess geblieben, den die Münchener Herzöge nicht nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit, sondern auch gänzlich ohne formelle kirchliche Beteiligung durchführten. Möglich war das durch ein päpstliches Privileg von 1523 geworden, das 1526 noch einmal in einem Breve bestätigt wurde und den Herzögen das Recht zugestanden hatte, bei Untätigkeit der zuständigen kirchlichen Behörden auch selbständig in Religionsfragen, insbesondere gegen lutherani et alii heretici (Lutheraner und andere Ketzer) tätig zu werden.[6]

Michael Keller: ein Wasserburger als Reformator in Augsburg

Michael Keller († 1548)

Zur selben Zeit wie die drei angeklagten Kooperatoren wirkte in Wasserburg als Priester ein später prominenter lutherischer Theologe: Michael Keller († 1548).[7] Auch er wurde – allerdings in anderem Kontext, schon 1524 – in München verhört und zwar nicht angeklagt, aber mit einem Predigtverbot belegt, sodass er die Stadt am Inn verließ und sich nach kurzer Zeit in Wittenberg, also in der Metropole der evangelischen Bewegung, in der Reichsstadt Augsburg niederließ. Dort entfaltete er sein eigentliches Wirken und war maßgeblich an der Einführung der Reformation im Jahre 1530 beteiligt. 1545 wurde er zu diesem Zweck in die Reichsstadt Kaufbeuren entsandt.[8] In einem Brief, den Keller später an den Augsburger Bürgermeister Rehlinger, einen seiner großen Förderer, schrieb, betont er, er habe Wasserburg nur verlassen, um den großen schaden der frommen Wasserburger, der inen mit sampt mir aus meiner lenger erharrung erwachsen wer, zu verhindern. Dann sie – also die Wasserburger – hetten den geschmagk des wort Gottes ain wenig entpfangen, darnach sie dann noch hitziger wurden.[9] Die evangelische Bewegung hatte also schon damals, als Keller die Stadt verließ, in der Wasserburger Bürgerschaft Feuer gefangen.

Wiedertäufer in Wasserburg

Im Jahre 1528 wurden in Wasserburg sechs Männer und Frauen von deß angenommen widertaufes wegen unangesechen das sy all drey widerrueff und iren Irrthumb bekhent, mit dem schwert hingerichtet.[10] Gegen diese besondere Richtung des Protestantismus, die im Einzelnen regional sehr heterogen ist und die im Grunde nur durch das gemeinsame Bekenntnis zur Erwachsenentaufe einte, wetterten nicht nur die Altgläubigen, sondern auch Lutheraner und Reformierte. Sie waren daher in vielen Regionen Europas Verfolgungen ausgesetzt. In Bayern erreichten diese Verfolgungen 1527/28 ihren Höhepunkt.[11] Die Hinrichtung der Wasserburger Wiedertäufer erregte damals landesweit Aufsehen – nicht so sehr, weil man die Strafe als unangemessen für den als Ketzerei empfundenen Glauben der Hingerichteten empfand, sondern weil sich darunter neben einem Müller auch zwei Adelige, nämlich die Hofmarktsherren Andreas und Christoph Perwanger, befanden.[12] Unmittelbar nach der Hinrichtung notiert der heute vor allem für seine Wetteraufzeichnungen sehr bekannte Chronist Kilian Leib in seiner Chronik des Klosters Rebdorf bei Eichstätt:

Bei denen, die in München zum Tode verurteilt wurden, sind zwei leibliche Brüder aus adeligem Geschlecht mit Namen Perwanger geköpft worden, da die Wiedertäufer durch keinerlei Vernunftgründe dazu gebracht werden konnten, ihren Irrtum zuzugeben; und so wurden sie ein drittes Mal, freilich mit Blut, getauft.[13]

Landesherrliche Eingriffe in die Ratswahlen

In den 1530 und -40er Jahren griffen die Herzöge immer wieder in die Wasserburger Ratswahlen ein, um den Einfluss der evangelischen Bewegung im Rat zu brechen. Die rechtliche Grundlage dafür war eine in vielen bayerischen Landstädten, und so 1507 auch in Wasserburg, eingeführte Ratswahlordnung, die den Landesherren das Bestätigungsrecht bei Neuwahl des Inneren Rates zugestand.[14] Diese Bestätigungen sind im Wasserburger Stadtarchiv noch in großer Zahl vorhanden, regelmäßig allerdings mit einschränkenden Änderungswünschen, die einzelne Nominierte durch neue Kandidaten ersetzen. Diese werden üblicherweise in beigelegten zetln benannt. Zwischen 1535 und 1549 beispielsweise enthält jede der jährlich eingereichten neuen Wahlvorschläge herzogliche Veränderungen. Dass danach eine gleiche Massivität landesherrlicher Eingriffe nicht mehr festzustellen ist, liegt vermutlich nicht so sehr an einer veränderten politischen Situation, sondern vor allem an der Lückenhaftigkeit der Überlieferung.

Ratswahlbestätigung von 1540

Dass der landesherrlich befohlene Austausch der Kandidaten in der Regel konfessionspolitisch motiviert war, darauf deutet ein Schreiben vom Januar 1539:

Dieweil unns anlanngt, das bei uch ettlich personen dem newen glauben anhenngig sein sollen, seien wir als lanndsfürsten geursacht, bey uch unnd andern steten und flecken […] in unnserm lannde fursehung zuthun, damit nicht nur die kaiserlich-königlichen Erlasse beachtet, sondern auch unnser hiervor derhalben außganngen gepoten unnd mandaten gemäß gehanndthabt; vor allem aber khainswegs gestatt werde, sollichen neuen glauben oder secten einreisen zelassen.[15]

Der Ärger um die Ratsbestätigungen und die offensichtlich nachlässige Befolgung der herzoglichen Anweisungen durch die Wasserburger zog sich noch über Jahre hin. Noch 1565 musste Albrecht V. ärgerlich feststellen, dass ihm (wieder einmal) keine Nachricht über den neuen Inneren Rat vorgelegt worden sei, obwohl doch auch ainer oder mer religion halben verdacht unnd im rath deßhalben nit zugedulden were[16].

Evangelische ‚Ausläufer‘ in die Grafschaft Haag und nach Regensburg

In den zwei Jahrzehnten zwischen 1541, als Ladislaus von Frauenberg für seine Gattin, die badische Prinzessin Maria Simone, einen lutherischen Prediger nach Haag holte, und seinem Tod im Jahre 1566, entwickelte sich die kleine Reichsgrafschaft zu einer wichtigen protestantischen Enklave inmitten des katholischen Bayerns.[17] Das hatte auch Auswirkungen auf das nahe Wasserburg, von wo offenbar zahlreiche so genannte ausleuffer regelmäßig die Landesgrenze passierten, um dem evangelischen Gottesdienst in der Grafschaft beizuwohnen. 1561 erließ Herzog Albrecht V. dagegen einen Befehl, der sich u.a. auch direkt an den Pfleger von Wasserburg richtete.[18] Mit dem kinderlosen Tod Graf Ladislaus‘ und dem Übergang der Grafschaft an Bayern wurde diese dann auch umgehend rekatholisiert. Die evangelische Gefahr aus der Reichsstadt Regensburg, die bereits 1542 die Bayernherzöge vergeblich zu unterbinden versuchten, ließ sich dagegen kaum wirkungsvoll bannen.[19]

Evangelisches Leben in Wasserburg um die Mitte des 16. Jahrhunderts

Herzog Albrecht V. von Bayern (1528-1579)

Zu Beginn der 1550er Jahre kann im ganzen Reich ein politisches Wiedererstarken der protestantischen Position beobachtet werden. In Bayern wurde im Zuge dessen die Forderung nach Einführung des Laienkelchs wieder stärker – so sehr, dass man in der Forschung von einer ‚Kelchbewegung‘ spricht.[20] Sie betraf durchaus nicht nur ausdrücklich evangelisch orientierte Gläubige, sondern wurde von vielen auch für einen wichtigen Schritt hin zu einem konfessionellen Kompromiss angesehen, der eine zentrale Reformforderung bei gleichzeitigem Verharren in der alten Kirche verknüpfte. Und tatsächlich ließ Albrecht V. auf Forderung der bayerischen Landstände hin kurzzeitig das Abendmahl unter beiderlei Gestalt für all jene zu, welche ihr Gewissen dazu dringet.[21] Die erhoffte Zustimmung aus Rom für diesen Schritt blieb allerdings zunächst aus. Und als sie endlich kam, war die politische Position Herzog Albrechts V. schon wieder so stark, dass er sich 1571 in der Lage sah, seine bereits stark eingeschränkte Erlaubnis gänzlich zurückzuziehen und wieder ein allgemeines Kelchverbot zu erlassen.[22]

Landesherrliches Religionsmandat von 1566.

In diesen Jahrzehnten war allerdings die Kommunion sub utraque, also in beiderlei Gestalt, längst üblich unter den Wasserburger Eliten – und sicher auch darüber hinaus – geworden. Und nicht nur das. Auch andere evangelische Praktiken und Lehren hatten Einzug gehalten. Entsetzen über die kirchlichen Zustände in Wasserburg spricht etwa aus dem leider nicht näher datierten Bericht eines päpstlichen Gesandten aus den Jahren um 1560, der auf dem Weg in Wasserburg Station machte: Ein mitreisender Italiener habe, als er die Beichte ablegen wollte, erfahren, dass die Aufzählung der Sünden (enummeratio peccatorum) selbst keinen Wert habe, sondern es „genug ist, wenn du dich vor der Sünde vorsiehst und sie aus eigenem Schmerz erkennst“ (satis est, quod pecasse te confiteris et ex eo dolorem concipis). Das Hochamt am Osterdienstag wurde ohne Ministrant und mit den falschen Gesängen zelebriert.[23] Einen guten Einblick gewähren die Berichte, die im Zuge der landesweiten Visitatio Bavarica, der Visitation sämtlicher Kirchengemeinden im Herzogtum, angelegt wurden.[24] Wasserburg wurde im Herbst 1560 visitiert. In nahent […] allen heusern der statt fand man dabei verbotne, verdechtliche puecher[25] – was umso erstaunlicher ist, als gerade im Jahr zuvor, eine große Büchervisitation vor Ort durchgeführt worden war, die allerley verfüersche, auch schandt- unnd lasterpüecher wider unnser alte, ware, catholische religion zutage gefördert hatte.[26] Auch die örtlichen Geistlichen schnitten bei der Visitation nicht gut ab: Georg Nicolaus zum Beispiel, Vikar zu St. Jakob, wurde in zahlreichen Punkten für unzureichend befunden: Zwar kämen katholische Lehrautoritäten zur Anwendung (utitur authoribus catholicis), jedoch würden deutsche Lieder gesungen. Von der Messe lehre der Vikar, sie sei von der Kirche eingesetzt worden, oblationem panis et vini, das Austeilen von Brot und Wein also, jedoch von Christus. Entsprechend erhielten rund 30 der rund 2.200 Kommunikanten, die er betreue, das Abendmahl sub utraque – ein kleiner, elitärer Kreis, der gleich an den Rat denken lässt. Außerdem könne der Vikar die Systematik der Sünden nicht verlässlich wiedergeben und streite den sakramentalen Charakter der Ehe ab.[27] Natürlich diente die Visitation nicht nur der Verfolgung protestantischen Gedankengutes, sondern auch der Aufdeckung von Mängeln in Ausbildung und Lebensführung des Klerus. Definitionem sacramentorum nescivit, die Definition der Sakramente kannte er nicht, urteilten die Visitatoren beispielsweise über den Benefiziaten Cosmas Puechschuester, der zwei gestiftete Altarmessen versah. Hat zwo köchin gehabt, bei der ersten 3 kinder. Von seiner meß S. Bartholomei ist ain zehendt versetzt. Er sei aber trotzdem guet catholisch, nur eben ain schwache person.[28]

Die gegenreformatorische Wende von 1564/65

Wasserburger Kommunikantenliste

Eine wesentliche Wende in der herzoglichen Konfessionspolitik war die Durchsetzung Herzog Albrechts V. in dem als ‚Adelsverschwörung‘ in die landesgeschichtliche Literatur eingegangenen Konflikt um die Einführung der Reformation in der Grafschaft Ortenburg.[29] Damit einher ging ein merklicher Verlust des landständischen Einflusses im Herzogtum, der über Jahrzehnte immer wieder einzelne evangelische Forderungen aufgebracht hatte. Viele landständische Aufgaben wurden nun von herzoglichen Beamten übernommen.[30] So konnte Albrecht V. seit der Mitte der 1560er Jahre seine Landesherrschaft immer stärker ausbauen – und tat dies auch in konfessionspolitischer Hinsicht. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf der Verbreitung evangelischer oder antiklerikaler Bücher.[31] 1566, nur zwei Jahre nach dem ‚Index librorum prohibitorum‘ des Trienter Konzils, ließ Albrecht einen ersten eigenen Index der in Bayern verbotenen Bücher drucken.[32] In diesen Jahren wurde auch ein Wasserburger Prediger wegen des Besitzes solcher sectischen puecher nach München vorgeladen. Neben den Schriften Luthers und Melanchthons fand man dabei auch die antirömische Schmähschrift ‚Hundert auserwelte, grosse, vnuerschempte, feiste, wolgemeste erstunckene Papistische Lügen‘ des Amberger Hofpredigers Hieronymus Rauscher.[33] Auch landesherrliche Visitationen, ob etwa verdambliche secten im schwange geen, wurden regelmäßig durchgeführt, die nun nicht mehr von bischöflichem Personal, sondern vom herzoglichen Pfleger durchgeführt wurden.[34] Zwar stritten die befragten Geistlichen jedes evangelische Leben in Wasserburg ab. Die wiederholten Befragungen und Buchrazzien dieser Jahre deuten aber ein anderes Bild an. Und immer wieder fallen Bürger misslich auf, die sich gegen unnsern räthen unnd abgesandten unbeschaiden unnd frölich erzeigt haben.[35] 1568/69 wurde sogar der herzogliche Hofprediger Caspar Franck (1543-1584) nach Wasserburg gesandt, um die Haltung der Stadt in religionis sachen zum christlichen, billichen unnd schuldigen gehorsam zu prüfen.[36] 1570, kurz vor der endgültigen Wiederabschaffung des Laienkelchs also, wurden die Wasserburger Geistlichen dazu angehalten, alßdann auch berichten, welche personen von hi bei euch communiciren unnd wie sy sich gehalt haben. Von den Kommunikantenlisten, die in diesem Zusammenhang entstanden sind, sind noch einige im Stadtarchiv erhalten.[37] Da mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 endgültig das Prinzip der landesherrlich bestimmten Konfession festgeschrieben wurde (cuius regio, eius religio), finden sich nun auch Listen wie ein Verzaichnus deren Personen, so schon abweckh gezogen, von evangelischen Christen also, die von ihrem Wegzugsrecht Gebrauch gemacht hatten.[38]

Die evangelische Bewegung in den 1570er Jahren zwischen Versiegen und Verstecken

In den 1570er Jahren scheint die evangelische Bewegung in Wasserburg im Wesentlichen versiegt oder deutet sich nur noch in einzelnen Formen bürgerlicher Widerständigkeit an. Zwar wurden noch bis in das 17. Jahrhundert hinein regelmäßig Häuser nach verpotenen püechern durchsucht; die wesentlichen Störfaktoren im Auge der katholischen Obrigkeit aber waren offenbar erfolgreich beseitigt worden. 1581 notiert das Rentmeisterumrittprotokoll, es mechten zwen im rath verhanden sein, so in religione suspect sein sollen, doch lassen sie sich nit merkhen.[39] Nur noch vereinzelt sahen sich die Herzöge genötigt, auf die nötige religiöse Sorgfalt hinzuweisen. So bemängelt ein Mandat Herzog Wilhelms V. vom März 1582: ob ir gleich in die kirchen kombt, beleibt ir doch gar sellten bis zum ennde oder dem segen darinn, sondern nemet, sobald nach volendter predig, euren weeg wider zu hauß.[40] Wenige Jahre später allerdings konnte Wilhelm persönlich an einer der wieder aufgenommenen Fronleichnamsprozessionen in Wasserburg teilnehmen, die zuvor jahrelang stillschweigend ausgesetzt (nit umbgangen) worden waren.[41]


Empfohlene Zitierweise:
Hiram Kümper, Konfessionsgeschichte im 16. Jahrhundert - evangelische Bewegung, publiziert am 06.04.2020 [=Tag der letzten Änderung(en) an dieser Seite]; in: Historisches Lexikon Wasserburg, URL: https://www.historisches-lexikon-wasserburg.de/Konfessionsgeschichte_im_16._Jahrhundert_-_evangelische_Bewegung (05.05.2024)
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  1. Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch.
  2. Vgl. Rössler, Evangelische Bewegung.
  3. Ausführlich dazu Simon, Reformationszeit in Wasserburg mit umfassender Edition.
  4. Bossert, Bayerische Religionspolitik, hier 9.
  5. Simon, Reformationszeit in Wasserburg, 165.
  6. Das Privileg von 1523 ist gedruckt bei Oefele, Rerum Boicarum, 276f. (fälschlich auf 1522 datiert), das Breve bei Simon, Reformationszeit in Wasserburg, 154-157.
  7. Zur Biographie vgl. Roth, Meister Michael Keller./ Zu Wasserburg auch Simon, Reformationszeit in Wasserburg, 127f.
  8. Vgl. dazu Kümper, Kaufbeurer Reformationsgeschichte.
  9. Der Brief ist gedruckt bei Roth, Meister Michael Keller, 158f.
  10. BSB, Cgm 1594, fol. 26v. Der gesamte Bericht ist gedruckt bei Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch, 61f.
  11. Guter, neuerer Überblick bei Kink, Täufer im Landgericht Landsberg, 43ff.
  12. Zu ihnen ausführlich Drexler, Die Perwanger von Günzlhofen.
  13. Döllinger, Cultur-Geschichte, 517: Inter eos, qui Monachii suppliciis affecti sunt, duo germani fratres ex stirpe nobilium, quibus Perwanger cognomen est, cum rebaptizati nullis, ut errorem agnoscerent, potuisset adduci rationibus, capite caesi sunt, ac sic tertio, sanguine scilicet baptizati.
  14. StadtA Wasserburg a. Inn, I1c9. Zur Sache vgl. Hoffmann, Die reformierte Ratswahlordnung. Dort, 12-16, auch Edition einer formularhaft ausgeführten Ratswahlordnung Herzog Wilhelms IV. von 1513.
  15. StadtA Wasserburg a. Inn, I1b397, o. fol. (1539.I.3).
  16. StadtA Wasserburg a. Inn, I2b199.
  17. Vgl. Rössler, Evangelische Bewegung, 116-132 und Greindl, Luthertum.
  18. BayHStA, Grafschaft Haag Literalien Nr. 30, fol. 243r-244r.
  19. Vgl. Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch, 72f.
  20. Ausführlich dazu Knöpfler, Die Kelchbewegung.
  21. Freyberg, Bayerische Landstände, 323f.
  22. Gedruckt bei Knöpfler, Die Kelchbewegung, 213f.
  23. Auszüge aus dem Bericht bei Schelhorn, Ergötzlichkeiten, 281f.
  24. Für das Bistums Freising sind die Protokolle ediert und umfassend ausgewertet durch Landersdorfer, Das Bistum Freising. Zu Wasserburg dort vor allem 594-602.
  25. Landersdorfer, Das Bistum Freising, 597.
  26. StadtA Wasserburg a. Inn, I2b199.
  27. Landersdorfer, Das Bistum Freising, 594f.
  28. Landersdorfer, Das Bistum Freising, 596.
  29. Eine gute Zusammenfassung bietet Weinfurter, Herzog, Adel und Reformation, 3f.
  30. Zu diesem Prozess vgl. Greindl, Ständeversammlung, 127-156.
  31. Ausführlich dazu Neumann, Staatliche Bücherzensur.
  32. Ediert bei Neumann, Staatliche Bücherzensur, 78-84.
  33. Ausführlich dazu Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch, 93-97 mit Edition der Bücherliste.
  34. Zitiert aus den Frageartikeln der Wasserburger Visitation von 1565; ediert bei Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch, 108-111.
  35. StadtA Wasserburg a. Inn, I1b230.
  36. Das herzogliche Schreiben bei Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch, 116f.
  37. StadtA Wasserburg a. Inn, I1b230. Dort auch die zitierte Anweisung.
  38. Ebenfalls in StadtA Wasserburg a. Inn, I1b230.
  39. BayHStA, Staatsverwaltung Nr. 2787, fol. 270r.
  40. StadtA Wasserburg a. Inn, I1b229. Das Mandat darin ist vollständig gedruckt bei Kümper, Zwischen Landesherren und Laienkelch, 121-123.
  41. Appl, Ausbau geistlicher Zentren, 361.